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„Walter, Du willst Quotierung zum Nulltarif“

■ Auf dem ersten Landesparteitag der Sozialdemokraten nach der Regierungsbildung war wenig Begeisterung für Walter Momper zu spüren / Eine Auswertung von 100 Tagen Rot-Grün fand nicht statt / Stellvertretende Parteivorsitzende gewählt

„Gemeinsam mit der Alternativen Liste sind wir finster entschlossen die Koalition über vier Jahre durchzuhalten.“ Der dies den 213 Delegierten des SPD Parteitages am vergangenen Samstag im ICC zurief war der Regierende Bürgermeister und Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Walter Momper. Der frenetische Beifall blieb aus. Der Parteitag äußerte sich weder akklamatorisch noch verbal zu Rot-Grün. Nach der Rede Mompers, indem er seine Presseerklärungen der letzten Wochen zusammengefasst vortrug, ging der Parteitag zu seinem Hauptthema „Gewalt“ über. Einige interessante Minuten brachten nur die Antragsberatungen.

Mompers warb bei den Delegierte um Verständnis für die Schwierigkeiten AL als Regierungspartei. Da gebe es so manchen „Reibungspunkt“, sagte er, doch man müsse doch mal sehen, wie lange die Sozialdemokraten gebraucht hätten, um regierungsfähig zu sein. Trotzdem ließ es sich Momper nicht nehmen, der AL erneut zu raten, schnellstens ihre Strukturen zu ändern, um „entscheidungsfähiger“ zu sein.

Nur in Ansätzen führte der Parteitag eine Debatte über die neue Rolle, die der Partei zukommen soll. Momper beschwor in seiner Rede die „Drei-Säulen-Theorie“. Abgeordnetenhausfraktion, Partei und Senat müßten „gleichstarke“ Säulen sein. „Keine Säule darf schwach werden, keine darf zu viel Last tragen müssen.“ Die Aufgabe der Fraktion sei es, „kreativ und kritisch“ gegenüber der Regierung zu sein. Der Partei schiebt Momper die Aufgabe zu, die Senatspolitik auf der Straße durchzusetzen. „Wir brauchen weitere Stadtgespräche“, fordert er von den Genossen, denn, „nur die öffenltiche Diskussion... schafft das notwendige Vertrauen in unsere Politik.“ Daß die Parteibasis vielleicht gar nicht der propagandistische Arm der Regierung sein möchte, interessiert Momper nicht. Für ihn ist in seiner Doppelfunktion als Regierender Bürgermeister und Landesvorsitzender alles eins. Doch dagegen regt sich Widerstand. Vier Kreise, Wilmersdorf, Spandau, Schöneberg und Zehlendorf beantragten zukünftig per Statut die Trennung von Amt und Mandat vorzuschreiben. Dahinter steht die Sorge, daß die Partei ihre eigenständige Rolle einbüßen und an Profil verlieren könnte. Ein Trauma für die Sozialdemokraten, denn diese Entwicklung wurde unter anderem für den Niedergang der Sozialdemokraten im Jahr 1981 verantwortlich gemacht.

Die Wilmersdorfer Delegierte Sabine Brünig warnte Momper vor dem „Spagat“, den er täglich zu machen habe. Als Regierender Bürgermeister habe er die Aufgabe, das Machbare durchzusetzen, als Parteivorsitzender der Sozialdemokraten müsse er aber daran arbeiten, „wo wir hinwollen“. Momper, das hat er auf dem Parteitag gezeigt, entscheidet sich derzeit dazu Regierender Bürgermeister zu sein. Bei der Beratung eines Antrages zur Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst wetterte er los: Die Delegierten sollten erst mal sehen, was der Senat bereits geschaffen habe, statt Unmögliches zu fordern. Die Anträge der vier Kreise wurden durch einen schwammigen Initiativantrag ersetzt. Darin wird der Landesvorstand aufgefordert, sich bis zum nächsten Parteitag darüber Gedanken zu machen, wie die Partei geführt werden soll.

Aber nicht nur in seiner Rolle als Regierender hält er den Daumen drauf. Die Forderung der ASF nach der Stelle einer Frauenreferentin in der Parteizentrale bügelte er ebenfalls ab. „Kein Geld“, war sein Argument. Das brachte die Sabine Brünig in Rage. „Walter, du willst die Quotierung zum Nulltarif“, rief sie dem Genossen Parteivorsitzenden zu und erntete Beifall bei den Frauen. Doch Walter war sauer und rechnete ihr erneut vor, wie er im letzten Herbst, als die Partei am Boden lag, Klinken geputzt habe, um Spenden zu bekommen.

Das inhaltliches Thema des Parteitages lautete „Gewalt in unserer Gesellschaft“. Unter dem Schock des 1. Mai war es auf die Tagesordnung gehoben worden, doch am Samstag schien die Luft raus. Prof. Dr. Dr. Gronemeyer von der Universität Gießen referierte ohne den Anspruch Handlungsanweisungen geben zu wollen die Zivilisationstheorie von Norbert Elias und hinterließ weitgehend ratlose Delegierte. Nur Erich Pätzold hat sein Handlungskonzept fertig. Glaubwürdig, so rief er den Genossen zu, „glaubwürdig sind wir nur, wenn wir auch gegen die großen Vermummten, die sich in Banken und Aufsichtsräten verstecken vorgehen“. Die Greiftrupps der Polizei sollten sie aus ihren Etablissements am Kudamm holen, sagte der Innensenator weiter und bekräftigte in Anlehnung an das eben gehörte Referat: „Der Polizeiknüppel ist nicht das einzige Argument.“

Doch der Parteitag war auch ein Wahl- und Arbeitsparteitag. Für Ingrid Stahmer und Georg Meisner, die von ihren Parteiämtern zurückgetreten waren, wurden die 39jährige Monika Buttgereit, zur Parteilinken zählend, und der 47jährige Jürgen Lüdke als stellvertretende Landesvorsitzende gewählt. Hans-Georg Lorentz wurde als geschäftsführender Landesvorsitzender bestätigt.

Als schließlich die Parteibasis ihre Eigenständigkeit bewies und einen zur Annahme empfohlenen Antrag des Kreises Wilmersdorf, indem ein Sehtest für Autofahrer alle vier Jahre gefordert wurde, ablehnte, wurde es den Beobachtern der Alternativen Liste zu bunt. „Apropos Regierungsfähigkeit“, frozzelten sie, „so ein Antrag wäre bei uns gar nicht bis zur MVV durchgekommen.“

bf

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