Eisbruch beim Frauenfußball

Europameisterschaft: Bundesdeutsche Frauen holen den Titel / Steffi Graf gunstmäßig 4:2,5 geschlagen  ■  Von Beate Fechtig

Der DFB-Chef war eigens aus dem Urlaub nach Siegen angereist, und dann gefiel es ihm doch nicht so recht. „Ein bißchen gazellenhafter, weiblicher halt“ hätte sich Hermann Neuberger die Fußballdamen bei der Europameisterschaft 1989 gewünscht: „Dann kommt's beim Publikum auch besser an.“

Ehefrau Irmgard allerdings, vom Gatten als Fußballkennerin gepriesen, konnte im fernen Schwarzwald gar nicht genug kriegen von der Live-Übertragung des Halbfinales gegen Italien. Sogar Tennis-Steffi, am vergangenen Mittwoch zur gleichen Zeit im privaten TV, fiel dem dramatischen Elfmeterschießen zum Opfer, das die BRD dank der Glanzreaktionen von Torfrau Marion Isbert mit 5:4 gewann.

In puncto Einschaltquoten fiel der Sieg der deutschen Fußballfrauen noch klarer aus. Mit vier zu zweieinhalb Millionen Zuschauern wurde Steffi Graf faktisch deklassiert. Und das, obwohl die Zuschauerzahlen sonst nur mit Hobbykegeln und Rollschuhlaufen konkurrieren können.

„Ja“, resümierte Neuberger hernach selbstzufrieden, als wäre es sein Verdienst, „das Eis ist gebrochen, wir haben das gut gemacht.“ Der Erfolg gehört - wenn auch unfreiwillig - eher der ARD für den Erwerb der Euro -Übertragungsrechte; oder besser noch dem Privatfernsehen: Hätte RTL-plus den Öffentlich-Rechtlichen nicht das Tennisspektakel in Wimbledon weggekauft, hätte das deutsche Fernsehpublikum noch sehr lange auf die erste Übertragung des Frauenfußballs warten müssen. Wobei ein Millionenpublikum natürlich auch unterhalten sein will, „und dafür war das Italienspiel auch wie gemacht“ (Kotrainerin Tina Theune-Meyer).

Da gefiel der frische Offensivfußball der Gastgeberinnen, das Traumtor der Italienerin Elisabetta Vignotti, ein Schuß aus 18 Metern in den Winkel, und am meisten das Elfmeterschießen. Er habe „am Ende die Augen zumachen müsen“, gestand danach Neuberger („alter Hase“).

Sabine Töpperwien vom NDR, Schwester des fanhaften ZDF -Rolf, machte ihre Sache als erste Fußballkommentatorin dabei recht ordentlich. Ihr zu Hilfe kamen sicherlich einige äußerst telegene Einlagen der Italienerinnen: Wohlwissend, daß auch ihr staatlicher Sender RAI erstmals live in die Heimat übertrug (allerdings von einem Mann kommentiert, der sich nicht einmal zum Spielort in die BRD bemüht hatte), ließen sich vor allem die Stürmerinnen gerne mal theatralisch fallen.

Wonach sich die Spielführerin Feriana Ferraguzzi jedesmal mit Drohgebährden an den britischen Schiedsrichter Brian Hill wandte. „Nein, nein“, mußte der angesichts der undamenhaften Einlagen die Nase rümpfen, von solcherlei „Nicklichkeiten“ halte er persönlich nun gar nichts.

Von einem etwas anderen Zuschauerverständnis gehen die Azzurri aus: „Calcio femminile“ ist bei ihnen zu Hause eine große Show. Und dementsprechend rollen auch die Lire: Spitzenklubs wie Lazio oder Campania benötigen für ihre halbprofessionellen Spielerinnen einen Jahresetat von rund 400.000 Mark. Daß außer der Industrie dann und wann auch die Mafia mitfinanziert, ist natürlich nur ein Gerücht. Immerhin: Die Meisterschaft ging in den vergangenen Jahren verdächtig häufig nach Süditalien.

„Je bekannter, desto besser“ ist das Motto der italienischen Kickerinnen, die es schon zu beträchtlichem Starkult gebracht haben: Für die Rekordinternationale Elisabetta Vignotti (108 Spiele, 107 Tore) ist es ganz normal, auf der Straße Autogramme zu schreiben. Zu anderer Berühmtheit brachte es Torfrau Eva Russo: Sie ließ für ein nicht ganz seriöses Magazin die Hüllen fallen.

Aktionen dieser Art allerdings sind die Ausnahme, die meisten sehen Fußball wie die 25jährige Stürmerin Carolina Morace als einen „Weg zur Unabhängigkeit, auch der finanziellen“. Doch ganz einfach ist das nicht: In der Sportschule Kaiserau beklagten sich die Italienerinnen darüber, daß sie oft monatelang und manchmal gar vergeblich auf ihre Geld warten müßten. Und der Schwede Lennart Johansson, Präsident der UEFA-Frauenkommission, kennt Beispiele von schwedischen Spielerinnen, „die nach Italien gingen und dort nicht einmal satt geworden sind“. Trotzdem überlegt Martina Voss vom TSV Siegen, das Risiko einzugehen: Für 3.500 Mark netto monatlich will sie in der übernächsten Saison für Campania stürmen. Weil es hierzulande außer Spesen und Sporthilfe im Frauenfußball angeblich nichts zu verdienen gibt.

„Stimmt doch gar nicht“, hat Vignotti ganz andere Eindrücke, „unsere Nationalspielerin Bavagnoli liegt jedenfalls ein Angebot aus Siegen vor.“

Indes bringt der reiche südländische Geldsegen nicht unbedingt auch sportlichen Erfolg. Die Italienerinnen verloren auch das Spiel um Platz drei gegen Schweden mit 1:2 nach Verlängerung.

22.000 Zuschauer sahen dann am Sonntag das Finale in Osnabrück. Mit einem 4:1 (2:0) wurden die BRD-Frauen Europameisterinnen gegen Norwegen (Bericht morgen).