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Il Messaggero

Mit Jaruzelskis Ankündigung, bei den Präsidentschaftswahlen in Polen nicht als Kandidat zur Verfügung zu stehen, beschäftigt sich die römische Tageszeitung.

General Jaruzelski findet sich in der Rolle des Schülers des Hexenmeisters wieder, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. In diesem Fall die Demokratisierung der polnischen Gesellschaft. Obwohl er für die Reformen in Polen gekämpft hat, gilt der General noch immer als Symbol jener vom Stalinismus ererbten alten Ordnung. Wenn er den Prozeß der Demokratisierung weiter vorantreiben will, muß er seinen Platz einem anderen überlassen. Es ist ein fast zwangsläufiger Schritt, nicht nur weil Jaruzelski ein 'Ehrenmann‘ ist, sondern auch, weil die nächsten Monate sehr hart sein werden. Die schrittweise Liberalisierung der Wirtschaft wird Arbeitslosigkeit und Inflation mit sich bringen. Will die kommunistische Partei eine soziale Explosion verhindern, muß sie zeigen, daß sie ohne Zaudern an der Pluralisierung festhält. Das Opfer des Generals ist dafür eine, wenn auch harte, Probe.

Liberation

Zum gleichen Thema meint die linke Tageszeitung aus Paris:

Jaruzelski tritt nicht wirklich ab. Er macht seinem treuesten Leutnant und einer Mannschaft Platz, die seit acht Jahren in etwa diesselbe geblieben ist. Eine Mannschaft, die weitgehend die Verantwortung für die alltägliche wirtschaftliche Katastrophe trägt, die Polen erlebt. Eine aus der Fassung geratene Mannschaft, die Jaruzelski für die Wahlniederlage verantwortlich macht und gegen ihr eigenes Verschwinden kämpft. Er bleibt Parteichef und mehr noch Vorsitzender des berühmten Verteidigungskomitees KOK, das, wenn die 'übergeordneten Interessen Polens‘ in Frage gestellt sind, die Ausnahmesituation dekretiert.

Für die Gewerkschaft Solidarität hat der Verzicht Jaruzelskis auf die künftige Präsidentschaft, die mit größter Macht ausgestattet ist, vor allem Symbolwert. Aber er macht den Kompromißweg, den Walesa gewählt hat, weder leichter noch populärer. Die Polen haben es bereits in den vergangenen Tagen gezeigt: Die gegenwärtigen politischen Verhandlungen interessieren sie kaum. Was sie wollen, sind anständige Gehälter, reichhaltigere Geschäfte, kurz, das Ende des Sozialismus auf polnische Art.

Corriere della Sera

Die konservative Mailänder Zeitung analysiert die Lage in der Sowjetunion.

Die Fernsehansprache von Gorbatschow hat das allgemeine Unwohlsein bestätigt, den Druck auf den neuen Kurs, und auch, daß die Konservativen angesichts der Exzesse der Demokratisierung leicht Abwehrmaßnahmen heraufbeschwören könnten. Man sagt, in Georgien und Usbekistan... könnte die Rote Armee eine Schande, wie sie die Generäle von Deng angerichtet haben, vor der Welt verbergen...

Der Alarmruf von Gorbatschow hat gezeigt, daß niemals zuvor die Perestroika so in Gefahr war wie heute... Neben den Aussichten auf eine Demokratisierung in der kommunistischen Welt existiert seit einigen Wochen das chinesische Szenario... Gorbatschow hat den Fernsehschirm ausgewählt, um alle daran zu erinnern und zu mahnen, daß das Spielzeug der Demokratie in Moskau genauso zerstört werden könnte wie in Peking.

Observer

Der liberale „Observer“ befaßt sich mit dem Streit um nationale Souveränitätsrechte zwischen London und der EG.

Auf längere Sicht gesehen müssen Frau Thatchers Argumente ernstgenommen werden: Nicht weil alles, was sie über das demokratische schwarze Loch im Herzen der Gemeinschaft sagt, wahr ist, sondern weil sie ihren Finger auf ein Problem legt, vor dem man sich ständig herumgedrückt hat. Im Gemeinschafts-Jargon ist es bekannt als das demokratische Defizit. Durch Zufälle der Geschichte ist es besonders akut in Großbritannien.

Im Zentrum der britischen Verfassungstheorie steht das Konzept von der Souveränität des Parlaments ... Seine Macht wird nicht durch eine Verfassung beschränkt, sie ist absolut. Für Puristen wie Frau Thatcher ist die Vorstellung, daß die Souveränität des Parlaments geteilt werden kann, einfach unvorstellbar. Durch eine Abstimmung kann das Parlament beschließen, einige Kompetenzen an ein anderes Parlament - wie das in Straßburg - 'auszuleihen‘, aber dies kann genauso leicht durch eine zweite Abstimmung wieder rückgängig gemacht werden. Ohne eine schriftliche Verfassung hat Großbritannien keine Möglichkeit, auf Dauer die Kompetenzen zu definieren, die jedes der beiden Parlamente besitzen mag. Das ist einzigartig in der Gemeinschaft.