Ein Hauch von Größe

■ General Jaruzelski hat selbst seine Entmachtung eingeleitet

Ein bißchen wehmütig war er schon, der General, als er auf seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Republik verzichtete. Jaruzelski, der am liebsten wie Fran?ois Mitterrand politisch schalten und walten möchte und auch gefeiert werden will, sieht sich im eigenen Volk verkannt. Der Schock des Putsches und des Kriegsrechts 1981, die Verhaftungen und die Gefängnisstrafen für Oppositionelle wirken in der Bevölkerung noch nach. In den Augen der Polen hilft es ihm eben nicht, sich mit dem Argument, damals Schlimmeres, nämlich den Einmarsch der Roten Armee verhindert zu haben, zu entschuldigen. Und auch sein Argument, den Öffnungsprozeß gegen alle Widerstände im Apparat eingeleitet und durchgesetzt zu haben, hilft ihm nichts, mag es noch so gewichtig sein. Die schillerndste politische Figur im Nachkriegspolen bleibt weiterhin verhaßt.

Gerade weil er zur Kenntnis nimmt, daß er niemals der Präsident aller Polen werden wird, zeigt der General in diesen Tagen (einen Hauch von) Größe. Welcher andere Machtpolitiker, im Westen wie im Osten, sieht es denn von selbst ein, daß seine Person ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung der Gesellschaft geworden ist? Indem Jaruzelski das Interesse des Staates über das der eigenen Person und das der Partei stellt und die Staffette an Innenminister Kiszczak weiterreicht, hat er wohl sein letztes Werk getan. Er weiß zwar die politische Kontinuität gewahrt, doch auch seinen Sturz miteingeleitet.

Es spricht für die Führer der Opposition, diesen Wechsel ohne Häme zu begleiten. Weiterhin bleiben sie auf der Linie des Kompromisses mit dem General, gerade weil noch nicht alle Widerstände im Apparat beseitigt sind. Denn mit Innenminister Kiszczak würde doch einer Präsident, der mit Jaruzelski durch Dick und Dünn gegangen ist. Und so überrascht es nicht, wenn Walesa dessen Kandidatur begrüßt und die Unterstützung durch die Solidarnoscabgeordneten im Parlament angedeutet hat. Ein Präsident Walesa wäre angesichts der Wirtschaftskrise genauso hilflos wie jeder andere Kandidat. Im Staatsapparat hätte er sogar noch mit mehr Widerständen zu kämpfen als der General.

Erich Rathfelder