Standbild: Flatternde Petticoats und Adenauer auf dem Sozius

S T A N D B I L D (Vespa-Fieber, ARD, So., 2.7., 16.20 Uhr) Wahrscheinlich ist das alles gar nicht wahr. Diese Legende von der Schleuder, die sich Vespa nannte, und die - eben nicht wie von Hornissen gestochen - gemächlich durch das Wirtschaftswunderland schaukelte. Tatsächlich hat es ihn gar nicht gegeben, den erotischen Augenblick auf der Doppelsitzbank, und auch nicht der flatternde Petticoat im linden Frühlingswinde. Das ist alles nur eine Erfindung piefiger Tollen. Träger, die sich neben Nierentisch und Conny Froboess noch ein schnuckeliges Requisit aus den Fünfzigern aufs Biedermeiersofa retten wollten. Oder ist vielleicht doch etwas dran an dem eleganten Motorroller? Diese geschwungene Linie der Karosserie, die blitzenden Chromleisten und die zierlichen Reifen. Das muß doch schwärmerische Erinnerungen auslösen: Die stolze Hand des Besitzers, der sanft über das gebogene Schutzblech streichelt und eine Fluse vom Lampengehäuse bläst, während er an das wogende Kornfeld denkt, in das er seine Liebste mit der Vespa entführt hat.

Nichts von alledem ist wahr. Die Vespa, so enthüllt der Film von Hanno Brühl und Peter Roos, ist des Deutschen Vehikel in die formierte Gesellschaft. Sauber in Reih‘ und Glied, Fahren in Formation und Adenauers Geist auf dem Sozius; so rauschten die Vespa-Sommerfrischler ins Grüne. Immer adrett und ordentlich mit einem verzuckerten „Sugarbaby“ auf den Lippen. Von dem Bild, die Vespa verkörpere alles, was den Erwachsenen damals an der Jugend als verdächtig galt, verliert in der deutschen Vespa -Historie jede Sur. Die englischen Mads mit den grünen Parkas mit den Batterien von Scheinwerfern und Rückspiegeln an ihren „Scootern“ und mit dem Geist der Rebellion am Gaszug finden in der bundesrepublikanischen Gemütlichkeit ihre Entsprechung in den Typen, die ihre Vespa so lange polierten, daß sie auch heute noch proper in der Garage steht. Der Unterschied zwischem dem Polster der Fernsehcouch und dem Vespa-Sattel ist nur ein gradueller. Beschaulich und behaglich.

Wer sich zu dieser Erkenntnis durchgerungen hat, darf keinen Film über die Vespa machen, sonst versinkt er erbarmungslos im Sumpf der „wärmenden Zweiradfamilie“. Die sinniert dann über „die grenzüberschreitende Clubarbeit“ der Osterwanderfahrten und „die leicht montierbaren, einseitig aufgehängten Räder“. Was da als Vespa-Fieber angekündigt wurde, blieb ohne jede Gefahr der Ansteckung.

Christof Boy