Gespensterdebatte?

■ Die Ampel im Range eines politischen Begriffs

Wo keine Nachrichten sind, muß man sich welche machen. Nach diesem Strickmuster hat jede parlamentarische Sommerpause ihre Hits, die bislang alle eins gemeinsam hatten: Nach der Pause redete niemand mehr davon. Der diesjährige ist bereits fest gebucht - der Aufstieg des schnöden Verkehrsinstruments Ampel zum politischen Schlüsselbegriff.

Der Grund für die Debatte liegt auf der Hand. Die Ergebnisse der Eurowahlen hochgerechnet, ergeben weder für die derzeitige Koalition noch für Rot-Grün eine Mehrheit. Mithin bleibt rein rechnerisch nur die Elefantenhochzeit oder aber die Ampel. Aus der SPD ist zu hören, eine große Koalition käme nicht in Frage - bereits ein Votum, die Ampel einzuschalten?

In aller Öffentlichkeit debattiert wird die Frage nur bei den Grünen. Erste Protagonisten für den Dreierbund haben sich nach dem innerparteilichen Aufschrei bereits wieder zurückgezogen, andere preschen dafür vor. In der FDP wird bis auf wenige Ausnahmen öffentlich geschwiegen - der Berliner Bundestagsabgeornete Wolfgang Lüder soll ein Positionspapier für die Ampelkoalition geschrieben haben. In der SPD sorgt Vogel so erfolgreich für Erklärungsdisziplin, daß kaum jemand aus der Deckung kommt. Geht es nach dem Parteichef, wird sich daran auch nichts ändern - man könnte sich ja sonst eine Option verbauen.

Das Ergebnis dieser Strategie ist bei den Sozialdemokraten bereits deutlich zu erkennen. Die Partei wird immer profilloser und wartet vergeblich darauf, daß ihr die eigene Mehrheit in den Schoß fällt. Dem Drang, sich nicht festzulegen, folgt die politische Abstinenz. Das gilt in anderer Form auch für die Grünen. Noch hat die Diskussion um die inhaltlichen Ziele einer Regierungsbeteiligung kaum begonnen, überwuchern Spekulationen über die Ampelkoalition bereits wieder die ersten Anläufe.

Bis zur Bundestagswahl haben die Parteien noch 18 Monate Zeit. Warum wundern sich rote und grüne Politiker eigentlich darüber, daß sie rechnerisch keine Mehrheit haben, wenn eine gemeinsame Mehrheit bislang offiziell noch nie als Wahlziel genannt wurde? Wenn die Eurowahlergebnisse eine Konsequenz nahelegen, dann die: auf Schleichwegen ist die Macht nicht zu haben. Bleibt zu hoffen, daß der diesjährige Sommerhit den Weg seiner Vorgänger nimmt, und rechtzeitig vor der Wahl Spekulationen durch politische Erklärungen abgelöst werden.

Jürgen Gottschlich