Pathologie der Rechtsnachfolger

■ Jan Philipp Reemtsma dokumentiert vielfältige Versuche von Behörden und Firmen, für KZ Neuengamme keine Verantwortung zu übernehmen

Im Keller eines Hauses war ein Mord geschehen. Ein Bewohner kommt auf die Idee, im Andenken an das Opfer eine Tafel anbringen zu lassen, und bittet im Haus um eine Spende. Selbstverständlich wäre ein Beitrag der Mitbewohner, selbst wenn sie zur Tatzeit nicht dort wohnten. Selbstverständlich?

Am Dienstag eröffnete der scheue Mäzen Jan Philipp Reemtsma (keine Fotos bitte!) eine Ausstellung in der Bürgerschaft. Eine recht trockene (man muß sich Mühe geben) Dokumentation der Tätigkeit einer Initiative, die Gelder beschaffen will, um die heruntergekommene Gedenkstätte KZ Neuengamme zu einem Ort der Forschung und Dokumentation und einem Platz für Veranstaltungen auszubauen.

Im Hamburger KZ Neuen

gamme, 1938 von der SS errichtet, waren etwa 106.000 Menschen inhaftiert, von denen 50.000 nicht überlebten. Sie wurden erschlagen, erschossen, gehängt, vergast, für medizinische Experimente mißbraucht, lebendig seziert. Die meisten starben an Entkräftung, Unterernährung, Krankheiten

-an den Folgen der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager und den anderen Einsatzorten, wo sie für Betriebe und Behörden arbeiten mußten.

Die Idee der Initiative war, solche ehemaligen „Arbeitgeber“ und deren Rechtsnachfolger um finanzielle Unterstützung anzugehen, ein einfacher und einleuchtender Gedanke zum Thema „Verantwortung und Firmengeschichte“, sollte man meinen. Reemtsma und seine „Hamburger Stiftung zur Förderung von Wis

senschaft und Kultur“ stellen vor, wie hamburgische Behörden, Bundesbahn und Bundeswehr, Krupp, Continental, Varta und Blohm & Voss oder die Städte Kiel und Bremen auf den Bittbrief reagierten.

Nur zwei Drittel der Angeschriebenen antwortete überhaupt, und ganze vier von 43 kündigten nenneswerte Unterstützung an: Bremen, wo zum Beispiel der Bausenator am 2.8.1944 800 weibliche Häftlinge in Neuengamme angefordert hatte, um sie für 4 Mark pro Tag im Behelfswohnungsbau einzusetzen, und Kiel, die Hamburger Elektrizitätswerke und die Firma Dräger, die Neuengamme-Häftlinge bei der Gasmaskenproduktion brauchte.

Ansonsten: Nicht-Reaktion, Ausflüchte, Herauslügen oder

bedeutsames Tippen auf die Anstecknadel am Revers: siehe, ich habe gegeben, bin frei von Schulden und Schuld, habe den Ablaß teuer bezahlt. Beispiel Krupp: Bei der Konzerntochter AG Weser in Blumenthal und Gröpelingen arbeiteten seit September 1944 mindestens 1.600 KZ-Häftlinge bei Werftarbeiten, am U-Boot-Bunker „Valentin“ in Farge, beim Bunkerbau auf der Werft, bei der Norddeutschen Hütte am Hochofen.

Das Antwortschreiben von Krupp hängt in der Bürgerschaft aus: „Ihren Antrag über den Aufbau einer Gedenkstätte ... haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen“ (die Gedenkstätte existiert bereits!). Man habe aber „die Bereitstellung von Geldern für Spenden ... erheblich zurückgefahren“ und im übrigen be

treffe dies alles nicht die Krupp Stahl Bochum. Der Vorstand verweist auf das Jahr 1959, als Krupp „als erstes deutsches Großunternehmen einen für die damalige Zeit sehr namhaften Betrag zur Hilfe der Opfer des Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt hat“, das ganze sei eh eine „öffentliche Aufgabe“. Daß es 1959 nicht um Altruismus, sondern um die Aufhebung der alliierten Produktionsbeschränkungen ging, verschweigt der Brief.

Dem gewöhnlichen fatalistisch-zynischen Diskurs ist selbstverständlich, daß sich Behörden und Unternehmen aus ihrer Verantwortung der eigenen Geschichte gegenüber stehlen - dem setzt Reemtsma eine nicht nur moralisch begründete andere Selbstverständlichkeit entgegen: Jeder Sozialverband, sagt er, gründe sich auf „institutioneller Verantwortung“, ohne die es keinen Vertrag und kein Brötchenholen gebe. Und: Es müsse ein anerkanntes Verfahren zur Unterscheidung von wahr und falsch geben - hat eine Firma Zwangsarbeiter beschäftigt oder nicht? In den Antwortschreiben findet Reemtsma Anzeichen für „pathologische Kommunikationsverzerrungen“, wenn Blohm & Voss (mindestens 419 Neuengamme-Häftlinge für Aufräum- und Werftarbeiten, ein besonders hoher Anteil starb durch Hunger und

Überanstrengung) auf ihre prekäre Finanzlage hinweisen, um zu schließen: „Wir werden unsere bisherige Förderung des Museumshafens Övelgönne fortsetzen“.

Diese „grundlegende Barbarisierung der Verkehrsformen durch den Nationalsozialismus“ sei nicht einmal vom eiskalten PR -Standpunkt erklärlich; es gibt inzwischen Firmen wie VW oder Dräger, die eine Beschäftigung mit brauner Firmengeschichte als imagefördernd ansehen.

Die Reemtsma-Dokumentation unter dem Titel Industrie, Behörden und Konzentrationslager 1938-1945 / Reaktionen 1988/1989 wandert durch die BRD und hat schon ihre eigene Meta-Geschichte: in Hannover weigerte sich die Üstra, in Bus und Bahn für die Ausstellung zu werben (man habe mit „diesem Thema“ schon viel Ärger gehabt), in Hamburg wollte die Handelskammer mit Blick auf befreundete Firmen keinen Ausstellungsraum geben. Die Ausstellung geht nach Dachau, in den schleswig-holsteinischen Landtag, nach Heidelberg, um später auch noch einmal in Bremen (Vahr? Vegesack?) für Schulklassen leichter zugänglich gezeigt zu werden.

Burkhard Straßmann

Die Ausstellung ist im Haus der Bürgerschaft täglich bis zum 25. Juli von 10 bis 14.15 Uhr zu sehen.