Ist der Schuldendamm bereits gebrochen?

Weltbank stellt „Weltentwicklungsbericht“ vor / Zögerliche neue Erkenntnisse  ■  Aus Frankfurt Konrad Melchers

Darf man dem wirtschaftlichen Braterstab der Weltbank Glauben schenken, dann ist der Schuldendamm dabei zu brechen - klammheimlich und ohne Überschwemmungen. Bei der Vorstellung ihres diesjährigen „Weltenwicklungsberichts“ (WEB 89) vor dem Dritte-Welt-Journalistennetz in Frankfurt beurteilte Gerhard Pohl - als einer der Verfasser - die Vertragslage zwischen Schuldnerländern und Gläubigerbanken als „halbgebrochen“. Die meisten Schuldnerländer praktizierten mit Duldung der Banken die Methode der Zinskapitalisierung, d.h. die fälligen Zinsen werden einfach auf die Schuldsumme draufgebucht. So habe Argentinien seit 18 Monaten seine Schulden nicht mehr bedient. Die taz berichtete dies bereits vor Wochen. Um so erstaunlicher, daß selbst die Weltbank dies erst vor kurzem erfahren haben will, wie Pohl erklärte. Sind es doch mindestens 500 internationale Banken, die monatelang dichtgehalten haben müssen.

Gibt es also in Wirklichkeit gar keine Schuldenkrise mehr, werden die Weltöffentlichkeit, die Steuerzahler und sogar IWF-Weltbank und die Regierungen von den Banken an der Nase herumgeführt? Ganz so weit ist es mit dem Schuldenstopp denn nicht. Kurzfristige Handelskredite werden in jedem Fall bedient. Und für das Aufweichen der vermeintlichen Schuldnerfront sorgen auch die eifrigen Schuldenzahler wie Mexiko, für die Pohl nur noch „Mitleid“ hat. Mexiko zahle acht Prozent seines Sozialprodukts für den Schuldendienst, das sei einfach zuviel, so könne das Land auf keinen grünen Zweig kommen.

Diese Erkennnis hat die Weltbank sehr spät erreicht. Bis vor kurzem trommelte sie für immer mehr Kredite, propagierte also das Rezept, Durst mit Gift zu löschen: Hauptsache, der „Netto-Ressourcentransfer“ in die Schuldnerländer (Neukredite minus Schuldendienst für die Altschulden) sei positiv, heißt es in den Weltentwicklungsberichten, zu welchen Zahlungsbedingungen war Nebensache - bis eben seit Ausbruch der Schuldenkrise sogar diese statistische Größe negativ wurde bei ständig steigender Schuldsumme. Der WEB 89 stellt fest, vor 1982 habe es noch im Schnitt Nettozuflüsse vom Ausland in Höhe von zwei Prozent des Sozialprodukts der Schuldnerländer gegeben, nach 1982 seien durchschnittlich drei Prozent abgeflossen. Jetzt prangert auch die Weltbank die „exzessive Kreditvergabe“ in den siebziger Jahren an.

Der veröffentlichte Lernprozeß der Bank hinkt in der Entwicklung hinterher. Der WEB 1989 gibt noch Schützenhilfe für den Brady-Plan. Dort heißt es optimistisch, von den Schuldnerländern habe es 1988 ein „Zeichen der Besserung“ gegeben, das Verhältnis von Schuldensumme zu Exporterlösen sei zum ersten Mal seit 1982 zurückgegangen. Zum Plan selbst, dessen „Details noch ausgearbeitet“ werden müßten, wird zuversichtlich erklärt, daß das Engagement der meisten Banken in den hochverschuldeten Ländern groß genug sei, um sowohl Schulden zu streichen als auch wieder neue Kredite zu vergeben. Gedruckt setzt die Weltbank also eher auf die traditionellen Herangehensweisen.

Pohl kündigte an, IWF und Weltbank würden je zehn Milliarden Dollar für einen Zinsgarantiefonds bereitstellen. Damit soll der zukünftige Schuldendienst für die zu einem Discountpreis gehandelten Altschulden gesichert sein, mit Festzins. Ob der neue Fonds allerdings angesichts des von Pohl angedeuteten aktuellen Zahlungsverdrusses der Schuldnerländer attraktiv ist, muß eher bezweifelt werden. Womöglich ist ihnen die jetzige vertragsunsichere Situation lieber. Der Brady-Plan sieht nur eine Verringerung der Schuldensumme um 20 Prozent vor. Gegenwärtig liegt aber der durchschnittliche Wert von Altschulden auf den Sekundärmärkten weit unter 50 Prozent ihres Nennwerts. Da die Schuldnerländer inzwischen selbst als Käufer ihrer eigenen Verbindlichkeiten auftreten und dies nach dem Brady -Plan auch weiter verstärkt werden soll, ist es deshalb für die meisten Schuldner nur von begrenztem Reiz, sich auf eine Schuldenreduzierung von nur 20 Prozent bei einem festen marktgängigen Zinssatz einzulassen. Dies auch, da sie gegenwärtig offenbar kaum noch gestraft werden, wenn sie keinen Schuldendienst leisten. Der WEB 89 schätzt eine Zahlungserleichterung durch den Brady-Plan von jährlich lediglich sechs Milliarden Dollar gegenüber Schuldendienstverpflichtungen von jährlich über 100 Milliarden Dollar.

Auf der anderen Seite dürften die Banken darauf spekulieren, in dieser Situation mehr staatliche Risikoübernahme herauszuholen als nur einen Zinsgarantiefonds von IWF und Weltbank in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Pohl wußte deshalb auch schon, daß der Brady-.Plan demnächst einen „anderen Namen“ erhielte, etwa „Herrhausen-Plan“ - nach dem Chef der Deutschen Bank, der an weitergehendere Erleichterungen als Brady denkt?

Verblüffend bleibt, wie schnell jetzt heilige Kühe geschlachtet werden. Noch vor zwei Jahren hieß es, daß der Schuldenrückkauf nur für die „Armenhäuser“ wie Bolivien in Betracht käme, jetzt gehört er zum Kern des Brady-Plans. Im vergangenen Jahr wiesen die Gläubigerregierungen noch jede Risikoübernahme von Bankschulden durch Regierungen strikt ab. Jetzt soll mit IWF- und Weltbank-Geldern der Rückkauf erleichtert werden.