Deutschnationale verhindern die Polenreise

Kleinliche Farce um unterschiedliche Kreditvorstellungen und unsichere Regierungsverhältnisse in Polen liefern Kohl Ausrede für Verschiebung / Doch spätestens seit Waigels Rede vor Schlesiern liegen die wahren Gründe auf dem Tisch: deutschnationale Rücksichten  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Nun ist es sicher: Helmut Kohl reist entgegen seinen bisherigen Ankündigungen im Juli nicht nach Warschau. Die Versöhnung mit dem polnischen Volk würde im fünfzigsten Jahr nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen mit dieser Reise besiegelt - so hatte der Bundeskanzler einst getönt. Jetzt reichen Meinungsverschiedenheiten über finanzielle Fragen und „erhebliche Veränderungen“ in der polnischen Führung als offizielle Begründung für ein Verschieben aus. Daß die Reise überhaupt stattfindet, hat der Bundeskanzler nun außerdem noch von der Erfüllung weiterer Bedingungen abhängig gemacht. Zunächst soll Warschau seine Kreditwünsche reduzieren. Zwar besteht Einvernehmen darüber, daß der den Polen vor 14 Jahren gewährte Kredit über eine Milliarde Mark in Zloty umgewandelt wird und daß die in den vergangenen Jahren angefallenen Schulden und Zinsen bis 1993 gestundet werden. Doch bezüglich des Finanzrahmens für die staatlichen Exportbürgschaften bleibt die Bundesregierung weiterhin starr: Sie will sich lediglich für 300 Millionen Mark verbürgen, die Polen erwarten ungefähr zwei Milliarden. Überdies mag Kohl erst fahren, wenn Warschau die Lage der deutschen Minderheit noch weiter verbessert. Schließlich will der Kanzler die „Ergebnisse der Entscheidungsprozesse“ über die künftige Spitze von Staat und Partei in Warschau abwarten, so Regierungssprecher Klein am Montag. Daß sogar US-Präsident Bush nächste Woche nach Polen reist, findet Klein nicht vergleichbar. Die Kanzlerreise hänge nämlich davon ab, daß vorher „subtile Fragen“ geklärt würden.

Tatsächlich wird immer deutlicher, was hinter diesem fadenscheinigen Ausweichmanöver steckt: die Angst vor den erstarkenden „Republikanern“ und der Versuch vor allem der Unionsrechten, den Wählern der Schönhuber-Partei mit deutschnationalem Gehabe wieder ein Stück näher zu kommen. So hat der CSU-Vorsitzende Waigel zugegeben, daß er seine Zustimmung zur Umwandlung des deutschen Kredits von Mark in Zloty erst nach der Europawahl bekanntgegeben hat, um den „Republikanern“ keine Wähler in die Arme zu treiben. Und schließlich machen die jüngsten Äußerungen des CSU-Chefs am Wochenende auf dem Schlesiertreffen in Hannover deutlich, daß das deutsch-polnische Verhältnis fortan immer stärker von der politischen Konkurrenz zwischen der Union und „Republikanern“ geprägt sein wird: Das Deutsche Reich sei mit der Kapitulation 1945 nicht untergegangen, und die Gebiete jenseits von Oder und Neiße gehörten zur „deutschen Frage“.