Konservativer Schlag gegen die Frauen

■ Die Abtreibungsentscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA treibt einen Keil in die Gesellschaft

Seit Montag stehen die Zeichen auf Sturm: Das Urteil des mehrheitlich konservativen Supreme Court, die beispiellos liberale Abtreibungsgesetzgebung einzuschränken, hat der auch vor Anschlägen nicht zurückschreckenden „Pro-Life„ -Bewegung ungeahnten Auftrieb gegeben. Zwar verbot das Gericht Abtreibung nicht grundsätzlich, doch gibt es konservativen Staaten nun die Möglichkeit strikterer Regelungen. Frauenverbände müssen ihre Energien jetzt auf bundesstaatlicher Ebene einsetzen.

Die Abtreibungsfrage werde sich zum „Vietnam der neunziger Jahre“ entwickeln, schon jetzt spalte die Debatte die Nation, malte B.J.Isaacson-Jones, Leiterin der Abtreibungsklinik in Missouri, die den am Montag vom Obersten Gericht entschiedenen Prozeß angestrengt hatte, als düsteres Bild. Molly Yard, Sprecherin der größten nationalen Frauenorganisation NOW, sprach gar von einem „Krieg gegen Frauen“. Die extremen Reaktionen auf den Entscheid, durch den die Abtreibungsfreiheit in den USA erheblich eingeschränkt wird, scheinen ihr Recht zu geben.

Keine Entscheidung in der jüngeren Geschichte des Gerichts hat heftigere und erbittertere Auseinandersetzungen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgelöst. Vor dem Gerichtsgebäude spielten sich turbulente Szenen ab, für das Fernsehen ein gefundenes Fressen. KorrepondentInnen brauchten nur ihre Kameras in die erregte Menge zu halten, um Bilder wie jenes vom Vorsitzenden der militanten Organisation „Operation Rescue“, Randall Terry, einzufangen. Der verkündete ekstatisch, man werde diesen Sieg gebührend feiern. Zu Tausenden wollten die „pro lifer“ in den nächsten Tagen Abtreibungskliniken blockieren.

Präsident Bush meldete sich aus seinem Ferienort und übermittelte „Genugtuung“ über das Urteil. Bush hatte sich im Wahlkampf 1988 für einen Verfassungszusatz ausgesprochen, der Abtreibungen ganz verbieten soll. In einer schriftlichen Erklärung ließ er sich nun vom fundamentalistischen Aufwind tragen und meinte, die Entscheidung gehe ihm nicht weit genug. Das Grundsatzurteil im Fall „Roe gegen Wade“ 1973, das Abtreibung in den USA legalisierte, sei falsch entschieden worden und müsse „völlig revidiert werden“.

Das Urteil - die Folgen

Das hat das Oberste Gericht in dieser Klarheit jedoch nicht getan. Es bestätigte zwar das verfassungsmäßige Recht von Frauen auf eine Abtreibung, einzelne Bundesstaaten haben jedoch jetzt die Möglichkeit, die Praxis massiv einzuschränken. Bei einem guten Dutzend der insgesamt 50 Bundesstaaten liegen entsprechende Gesetzesentwürfe wohl auch schon in den Schubladen. Mit seiner knappen 5:4 -Entscheidung, bei der die einzige Richterin, Sandra Day O'Connor, den Ausschlag gab, setzte das Gericht Kernstücke eines Gesetzes aus dem Bundesstaat Missouri wieder in Kraft, die von einem untergeordneten Gericht zuvor für verfassungswidrig erklärt worden waren.

In Missouri dürfen nun Abtreibungen in öffentlichen Kliniken untersagt werden. Verboten werden kann ab sofort auch die Verwendung von Steuergeldern für Schwangerschaftsberatungen, bei denen die Möglichkeit einer Abtreibung diskutiert wird. Ferner kann ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen untersagt werden, eine Abtreibung durchzuführen, es sei denn, das Leben ist in Gefahr. Feministinnen befürchten, daß nun privilegierte Frauen in Bundesstaaten mit liberalen Gesetzen ausweichen werden, während arme Frauen und Minderjährige den Einschränkungen nicht entgehen werden können.

Doch die Restriktionen, denen Frauen in den USA künftig ausgesetzt sein werden, betreffen nicht nur die praktische und ökonomische Seite. Auch auf ideologischem Terrain haben die US-amerikanischen LebensschützerInnen einen Sieg davongetragen. So wurde vom Obersten Gericht ein Passus in dem Gesetz aus Missouri für zulässig erklärt, der festschreibt, daß das Leben jedes Menschen mit der Empfängnis beginne. Als verfassungskonform gilt jetzt auch die Auflage, daß ÄrztInnen nach Möglichkeit festzustellen haben, ob ein Fötus nach der 20. Schwangerschaftswoche außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig ist. Nach bisherigem Recht konnten Frauen in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft frei über eine Abtreibung entscheiden. In den folgenden drei Monaten durften Regulierungen von staatlicher Seite nur vorgenommen werden, um die Gesundheit der Schwangeren zu schützen. Und erst wenn der Fötus außerhalb des Mutterleibes lebensfähig war, durfte der Staat ihn unter seinen Schutz stellen. Deshalb war es für die LebensschützerInnen in den öffentlichen Auseinandersetzungen so wichtig, den Fötus als eigenständiges Lebewesen darzustellen und Abtreibung als „Mord“ zu bezeichnen.

Vertreterinnen der verschiedensten Frauenorganisationen waren empört und enttäuscht. Molly Yard von NOW erklärte, der Kampf für Abtreibungsfreiheit werde zukünftig auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene ausgetragen. „Wir haben lernen müssen, daß wir uns auf die Gerichte nicht verlassen können“, so Yard. Die Abtreibungsfrage werde zu einem Politikum auf allen Ebenen werden. Kate Michelman von der „National Abortion Rights Action League“, einer Organisation, die sich speziell für Abtreibungsrechte einsetzt, stimmte zu: „Jeder Abgeordnete in jedem Staatsparlament wird Stellung in der Abtreibungsfrage beziehen müssen wie noch niemals zuvor. Sie werden auf uns eingehen müssen oder ihren Job verlieren.“ Immerhin haben die BefürworterInnen der Abtreibungsfreiüber siebzig Prozent der Bevölkerung auf ihrer Seite. Alan Rothstein, Jurist an der Georgetown Universität, vermutet, daß der Kampf auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene bitter notwendig sein wird. Die Entscheidung, so Rothstein, sei richtungsweisend.

Protest eines Richters

Das Oberste Gericht gab am Montag bekannt, es werde im kommenden Herbst drei weitere Fälle zur Abtreibungsfreiheit hören, für Rothstein ein Indikator dafür, daß die Richter selbst die Debatte nicht beendet haben. Es muß eine erbitterte Debatte gewesen sein, die sich unter den acht Richtern und der einen Richterin in den letzten Wochen abgespielt hat. Richter Blackmun, der vor 16 Jahren die „Roe gegen Wade„-Entscheidung formuliert hatte, verlas am Montag seine von der Mehrheit abweichende Meinung, ein unüblicher Vorgang, denn normalerweise werden abweichende Meinungen lediglich schriftlich publik gemacht. Der 80jährige Blackmun las: „Indem das Gericht sich weigert, seine Entscheidung zu begründen, öffnet es Vorwürfen der Feigheit und der Gesetzwidrigkeit Tür und Tor.“ Zwar bleibe das prinzipielle Recht auf Abtreibung „für heute wenigstens“ unangetastet. „aber die Zeichen sind unübersehbar und äußerst bedrohlich. Es weht ein eisiger Wind.“

Silvia Sanides, Washington