Mit Honecker in der Mensa

■ Studieren im realexistierenden Sozialismus: Lothar Esser, Umwelttechnikstudent an der TU Berlin, war ein halbes Jahr an der TU Dresden / Hochschullehrer wollen mit „Herr Professor“ angesprochen werden

Nachdem er das letzte halbe Jahr seine Diplomarbeit im Fach Umwelttechnik an der Technischen Universität Dresden geschrieben hat, ist Lothar Esser jetzt zurück in Berlin. Er gehört zu der Gruppe von 110 StudentInnen aus der Bundesrepublik und West-Berlin, die aufgrund eines Kulturabkommens zwischen beiden deutschen Staaten zu einem Studienaufenthalt an eine Universität im anderen deutschen Staat zugelassen worden sind. Im folgenden Gespräch berichtet er über seine Erfahrungen an einer Universität des realexistierenden Sozialismus.

taz: Wie bist du denn auf die Idee gekommen, einen Teil deines Studiums in der DDR zu absolvieren?

Lothar Esser: Ich hatte, schon als ich zum Studieren nach Berlin gekommen bin, den Wunsch, die DDR näher kennenzulernen. Als ich von der Möglichkeit erfuhr, in Dresden studieren zu können, habe ich mich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Bonn um ein Stipendium beworben, das ich dann auch bekommen habe. Darüber habe ich in der DDR 600 DDR-Mark erhalten und konnte davon ziemlich gut leben. Ein DDR-Student erhält dort im Vergleich ein Grundstipendium von 200 Mark, das sich aber aufgrund besonderer Studienleistungen oft mehr als verdoppeln kann.

Reichen denn 200 Mark zum Leben, oder verdienen sich die StudentInnen auch in der DDR durch Jobs noch was dazu?

Die Studenten werden da noch sehr durch ihre Eltern unterstützt und gehen fast alle im sogenannten „Studentensommer“ arbeiten. Einige fahren in die UdSSR und arbeiten dort an der Erdgastrasse, andere spielen Bademeister im Schwimmbad oder arbeiten auch an der Uni und verdienen den Lohn normaler Arbeitnehmer.

Wie hast du währenddessen in Dresden gewohnt?

Ich war im Gästehaus der TU Dresden untergebracht und hatte eine Einraumwohnung mit Küche und Badezimmer und Balkon. Normale Studenten wohnen aber in der Regel zu zweit in so 'ner Wohnung. Ich hatte als Gast also etwas Luxus.

Wie hat sich der Kontakt zu den dortigen Studenten entwickelt?

Ich hab‘ 'nen Schreibtisch im Arbeitszimmer gehabt, wo noch sechs weitere Diplomanden gesessen haben. Man hat mir früh morgens den Arbeitsplatz zugewiesen, und im Laufe des Tages kamen dann die anderen Studenten und haben gefragt, wo ich herkomme und was ich mache, und dann hat sich recht schnell ein Gespräch entwickelt. Nachdem sich herausgestellt hat, daß ich aus West-Berlin komme, haben sie sich vor allem gewundert, daß ihre Sektionsleitung sie nicht informiert hat und sie auch nicht belehrt worden sind, wie sich sich mir gegenüber verhalten sollen.

Wie war denn dein Kontakt zu den KommilitonInnen?

Ich habe viel Kontakt gehabt, habe sie zu Hause besucht und mit ihnen über alles mögliche geredet. Was sich nicht vermeiden läßt, ist, daß du, gerade auch weil in der DDR ein großes Interesse an politischen Fragen besteht, mit allen Leuten über kurz oder lang immer in politische Diskussionen kommst. Wir haben beispielsweise über die Vorgänge in der Sowjetunion oder zuletzt über China oder die Kommunalwahlen diskutiert. Das Komische war, daß ich keinen unkritischen DDRler kennengelernt habe.

Wie sehen denn die Studenten die Entwicklung in der Sowjetunion?

Die SED hat ihren Parteitag, der irgendwann Anfang 1990 stattfinden soll, ein Jahr vorgezogen. Die Studenten, mit denen ich darüber geredet habe, haben aber alle gesagt: Erwarte da nicht zuviel, hier bei uns passiert einfach nichts. Es waren sehr viele, die einfach resigniert haben und die im Laufe der Jahre einfach erschöpft und kaputtgegangen sind. Was ich auch gespürt habe, ist einfach das Verlangen, mal wegfahren zu können, um sich was anderes angucken zu können, oder mal ein halbes Jahr woanders zu studieren und dann aber auch wiederkommen zu können.

Im Vorfeld der Kommunalwahlen am 7.Mai habe ich aber auch im Dresdener Bahnhof ein Transparent gesehen, was natürlich nicht lange da hing. Es wurde von demjenigen, der es aufgehängt hatte, nach fünf Minuten wieder abgenommen, damit es nicht in falsche Hände geriet.

Was stand auf dem Transparent?

Na, sinngemäß: Stimme mit Nein am 7.Mai. Was anderes ist der Personenkult in der DDR. Als ich ankam in Dresden, hingen überlebensgroße Fotos von Erich Honecker und Willi Stoph in der Mensa. Nach zwei Monaten waren die verschwunden und sind dann auch nie wieder aufgetaucht. Die sind abgenommen worden zu irgendeiner Karnevalsfeier, die in der Mensa stattfand, aber danach nicht wieder hingehängt worden.

Wie sieht es denn mit der studentischen Selbstverwaltung und Mitbestimmung aus?

Zunächst mal hat die FDJ („Freie Deutsche Jugend“) überall ihre Finger drin. 99,9 Prozent aller Studenten sind da Mitglied, sie entscheidet auch mit über die Vergabe von Studienplätzen. Wenn man nicht in der FDJ ist, hat man schon Schwierigkeiten, überhaupt einen Studienplatz zu bekommen. In den Universitätsgremien sitzen zwar FDJ-Mitglieder drin, aber es ist längst nicht so, daß die ein entsprechendes Mitspracherecht besäßen wie bei uns, und sie werden da auch nicht von den Studenten reingewählt, sondern delegiert von der FDJ. Einen Asta gibt es nicht, da macht die FDJ alles.

Wie sieht denn die Ausstattung mit wissenschaftlicher Literatur oder Arbeitsmitteln aus?

Es gibt bei der Fachliteratur keine gravierenden Unterschiede, sie haben allerdings, was uns fehlt, die russische Literatur. Was anderes ist die Geräteausstattung. Im Institut gibt es fast nur in der DDR hergestellte Geräte, die aber schon zwanzig Jahre alt sind. Mit denen kann man zwar auch arbeiten, aber es ist alles langwieriger.

Welche Unterschiede zwischen Studium Ost und Studium West sind dir am meisten aufgefallen?

Was sofort auffällt, ist, daß das Studium sehr viel verschulter ist in der DDR, was auch dazu führt, daß fast alle Studenten ihr Studium in viereinhalb Jahren planmäßig beenden. Was mir noch aufgefallen ist, daß es sehr viel förmlicher abgeht. Irgendwie ist es den Leuten schon aufgestoßen, daß ich sie nicht mit Herr Professor, sondern mit Namen angesprochen habe. Das ist nicht üblich. Daß man seinen Professor mit Namen anspricht oder etwa duzt - das auf keinen Fall, und niemals in der Öffentlichkeit.

Interview: thol