Die elektronische Dorflinde

■ Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit breiten sich die „Offenen“ TV-Kanäle aus Gespräch mit dem Vorsitzenden des Bundesverbandes Offene Kanäle, Ulrich Kamp, aus Ludwigshafen

taz: Was hat sich beim Offenen Kanal verändert?

Uli Kamp: Die Schatten von 1984, „Alibi des Kommerzfunks“ die sind weg. Seit dem Rundfunkstaatsvertrag 1987 zahlt die Landeszentrale für Private Rundfunkveranstalter - in anderen Ländern heißt sie geringfügig anders - die laufenden Kosten des Offenen Kanals aus den Rundfunkgebühren. Träger der lokalen Offenen Kanäle sind aber gemeinnützige Vereine, in denen zum Teil VertreterInnen der „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ wie Gewerkschaften, Kirchen, Arbeitgeber usw. sitzen. Sie schützen den Offenen Kanal, aber sie benutzen ihn nicht. Das tun Privatpersonen, Gruppen oder Vereine.

Also keine Geldsorgen?

Doch. Unser Riesenproblem heißt Deutsche Bundespost. Die Einspeisungs- und Heranführungsgebühren der Post gefährden massiv die Offenen Kanäle in allen Flächenstaaten (Berlin und Hamburg haben's besser). 99.500 DM einmalig und 3.500 DM monatlich können einen lokalen Offenen Kanal pleite machen. Ziel ist: Gebührenfreiheit für den Offenen Kanal als lokalen Kulturfaktor, der nicht gleich behandelt werden kann mit Werbefunkprogrammen.

Wo gibt es bereits Offene Kanäle und wo wird es demnächst welche geben?

In Rheinland-Pfalz senden außer Ludwigshafen schon Neustadt, Schifferstadt und Worms. Innerhalb eines Jahres kommen Kaiserslautern, Speyer, Trier, Koblenz und Rodalben/Pirmasens dazu. Heute sind Offene Kanäle in allen Bundesländern vorgesehen, ausgenommen Bayern, Baden -Württemberg und Niedersachsen.

1984 war die Programmfolge im Offenen Kanal „geheim“. Steht sie heute in der Zeitung?

Ja, auf der Fernsehseite. Die neuen, lokalen Offenen Kanäle bekommen oft eine begeisterte Berichterstattung. Vor allem in Kommunen, wo die Zeitungen nicht das traumatische Erbe haben, selbst mal privates Fernsehen veranstaltet zu haben.

Und was zum Beispiel können wir sehen?

Nehmen sie Neustadt. Die haben sich ein langes Kabel geliehen und den jährlichen Umzug zum Winzerfest gesendet. Live 1:1, mit Interviews auf der Straße. Viele Leute Kranke, Patienten, Arbeitnehmer, die Dienst hatten - wollten das sehen. Und die, die dabei waren, wollten die Wiederholung sehen. Durch solche Sachen, die banal klingen, entsteht ein enges Verhältnis der Bürger zum Offenen Kanal.

Immer Vereine und Folklore?

Also das Vorurteil gegen Vereine ist einfach nicht gerechtfertigt. Aber selbstverständlich äußern auch Leute als Privatpersonen ihre politischen Ansichten. Zum Beispiel über Fluglärm, denn hier ist eine Tiefflugschneise. Ein Offener Kanal hat zur Diskussion auch die Hardthöhe eingeladen, das Verteidigungsministerium. Die Hardthöhe hat dann bei mir angerufen und gefragt: „Sorgen Sie dafür, daß die Sendung ausgewogen ist?“ Ich habe gesagt: „Das machen die ganz alleine, damit habe ich gar nichts zu tun.“ „Das gibt es doch gar nicht, das ist doch verboten.“ Die Sendung fand statt, aber der Stuhl blieb leer!

Gelaufen sind auch unheimlich kontroverse Sachen, zum Beispiel über Ausländer. Da waren 30 Asylbewerber aus den veschiedensten Ecken der Welt, sechs Monate bis 50 Jahre alt. Und im Publikum der gesamte Landesvorstand der Republikaner (das haben wir erst hinterher rausgekriegt). Da wurde so viel telefonisch reingerufen, daß der Verantwortliche dann gesagt hat: Nicht mehr reinrufen, es wird zu viel. Die Anrufer haben entweder den Namen nicht gesagt und Ausländerhetze betrieben oder mit Namen meistens pro Ausländer gesprochen.

Sind die Sendungen im Offenen Kanal genießbar, auch wenn mensch nicht den eigenen Bekanntenkreis wiedererkennt?

In lokalen Offenen Kanälen gibt es das Problem nicht. Zum Beispiel in Schifferstadt. Dort kennt jeder jeden.

Sind die Offenen Kanäle das Lokalfernsehen von morgen?

Die Chance haben sie. Aber ohne Parteienproporz, sondern von den Leuten selbst gemanagt.

Wie steht es heute mit den früheren Gegnern, die den Offenen Kanal wegen des Kommerzfunks boykottierten?

Kürzlich kam einer von der BI „Gegen die Bebauung der Roßlache“: „Eigentlich sind wir ja gegen das Kabelfernsehen, aber...“ Das Band, das sie abgedreht haben, haben sie dann auf ihre Veranstaltungen geschleppt. Die gesellschaftlichen Gruppen haben ihre Einstellung geändert.

Müßten die Profis nicht mal ihre totale Zurückhaltung aufgeben, wenn manche Sendungen unsehbar zu werden drohen?

Als Antwort ein Zitat aus den Tagebüchern des Offenen Kanals: „Postulate dieser Art kommen meist aus einer argumentativen Ecke, wo der linke Konservatismus des Mißtrauens gegenüber der individuellen Autonomie auf den originären Begriff kommt.“ Reicht das?

Interview: Richard Herding, Informationsdienst - Projekt Alltag -, Frankfurt a.M.