Der Justiz entkommen

Jean Leguay, französischer Expolizeichef, ist tot / Ein Prozeß gegen den Verantwortlichen für die Judendeportationen nach Auschwitz fand nie statt  ■ P O R T R A I T

Berlin (ap/afp/taz) - Zu spät. Auch diesen Kriegsverbrecher wird die Justiz nicht mehr treffen: Im Alter von 79 Jahren starb Jean Leguay - ehemals Polizeichef des Vichy-Regimes am vergangenen Wochenende in Paris an Leberkrebs.

In enger Zusammenarbeit mit der deutschen SS und Gestapo hatte Leguay die berüchtigten Judenrazzien im besetzten Frankreich organisiert. Unter anderen auch die am 16. und 17. Juli 1942, bei der 12.884 Menschen, darunter mehr als 4.000 Kinder, von französischer Polizei und faschistischen Milizen in dem Pariser Sportstadion „Velodrome d'Hiver“ zusammengetrieben wurden. 30 von ihnen starben bereits in dem Stadion, die übrigen wurden in Viehwaggons gepfercht und nach Auschwitz transportiert.

Leguay ging bei der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich sogar noch weiter, als seine deutschen Herren es von ihm verlangten. So empfahl er auch die Auslieferung der staatenlosen Juden aus den unbesetzten Zonen und die Deportation von Kindern. Bei anderer Gelegenheit versprach er, bei der Regierung in Vichy dafür zu sorgen, daß Juden für die Deportation nur mit den „notwendigsten und erforderlichen Gepäckstücken ausgerüstet“ würden.

Vergeblich hatten die Verbände ehemaliger französischer Deportierter versucht, den ehemaligen Polizeichef vor Gericht zu bringen. 1979 klagte ihn der Anwalt Serge Klarsfeld wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ an. Doch zu einem Verfahren kam es nicht. Leguay benutzte alle Rechtsmittel und verzögerte erfolgreich den Prozeßbeginn so lange, bis seine Akten in einer Schublade des französischen Justizministeriums verschwanden.

Nachdem der ausgediente Kollaborateur nach der Befreiung Frankreichs der Säuberung entgangen war, avancierte er nach dem Krieg zum New Yorker Leiter der Parfumfirma Nina Ricci. Später arbeitete er als Präsident verschiedener chemischer und pharmazeutischer Unternehmen in Großbritannien und Frankreich. Seine Zusammenarbeit mit den Nazis rechtfertigte Leguay damit, er habe „die Franzosen vor den Besatzern schützen“ wollen.

hh