Kein Gerangel um Präsidentschaftskandidatur

Nach der ersten Sitzung des polnischen Parlaments herrscht immer noch Unklarheit über Präsidentschaftskandidaten / Nach Jaruzelskis Rückzug sind verschiedene Kandidaten im Gespräch: Kiszczak, Walesa, Fiszbach und Gieysztor / Walesa möchte nicht Präsident werden  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Nach dem Zusammentreten beider Kammern des polnischen Parlaments am Dienstag ist es noch unklarer als zuvor, wie es politisch weitergehen soll. Ausgelöst wurde diese Unsicherheit durch General Jaruzelskis Entschluß, nicht für das Präsidentenamt zu kandidieren. Der General traf diese Entscheidung, nachdem letzte Woche in Sitzungen der Bündnisparteien der polnischen Kommunisten klargeworden war, daß eine größere Anzahl von Abgeordneten der Demokratischen Partei und der Bauernpartei in der Nationalversammlung nicht für ihn stimmen werden. Auch in der ersten Fraktionssitzung der Opposition war diese Frage offen gelassen worden. Die von Fraktionsführung und Lech Walesa verfolgte Linie, der Regierung Zugeständnisse zu machen, wird von vielen Hinterbänklern heftig kritisiert.

Da zahlreiche Abgeordnete der vereinigten Bauernpartei (ZSL) Sympathien für die Solidarnosc hegen und auch das Abstimmungsverhalten der konzessionierten katholischen Gruppen offen ist, wäre ein Kandidatur Jaruzelskis aussichtslos. Nach seinem Verzicht forderten das ZK der PVAP und seine Parlamentsfraktion den General einstimmig auf, die getroffene Entscheidung noch einmal zu überlegen. Jaruzelski hatte seinen Vertrauten, den bisherigen Innenminister und Geheimdienstchef Kiszczak vorgeschlagen, konnte sich damit jedoch in seiner Partei noch nicht durchsetzen. Walesa zufolge könne Kiszczak bei der Opposition mit mehr Zustimmung rechnen als Jaruzelski.

Dies ist allerdings eine Vermutung, für die die Masse der Solidarnosc-Abgeordneten kaum die Hand ins Feuer legen dürfte. Warum sollten gerade jene, die sich gegen Jaruzelski sperren, Kiszczak ihre Stimme geben? Schließlich, so verlautet es aus der Fraktion, sei Kiszczak zwar persönlich sympathischer als der steife General mit der dunklen Brille, doch deshalb sei seine Person nicht weniger mit der Verhängung des Kriegsrechts 1981 belastet. Der politische Flurschaden wäre für die Partei geringer, fiele bei der Abstimmung Kiszczak und nicht Jaruzelski durch, doch Polen hätte damit nach wie vor noch keinen Präsidenten.

Da die Bauernpartei, die mit Mykolaj Kossakiewicz den Marschall stellt, sich nicht mehr an der Diskussion um das Präsdentenamt beteiligt, kommt Vorschlägen aus der Opposition um so größeres Gewicht zu. Bei der Fraktionssitzung des „oppositionellen Bürgerklubs“ - wie sich die Solidarnosc-Fraktion nennt - forderten viele Abgeordnete eine Kandidatur Walesas. „Der Wahlsieg hat einigen unserer Abgeordneten solch ein Gefühl der Stärke vermittelt, wie es 1981 die Zehn-Millionen-Mitglieder -Gewerkschaft Solidarnosc tat, daß uns keiner etwas anhaben kann“, kommentierte die Wahlkampfzeitung anschließend die Diskussion. Es hieß, Walesa werde mit dem Militär schon fertig. Denn sollte er Staatspräsident werden, fiele die Armee in seinen Zuständigkeitsbereich.

Das Militär scheint indessen anderer Ansicht zu sein. Schon in der Vorwoche hatte das Armee-Organ 'Zolnierz Wolnosci‘ offen für Jaruzelski Stellung genommen. Zusätzlich fand am Vortag der ersten Sejm-Sitzung eine außerordentliche Versammlung des Militärrates beim Verteidigungsministerium statt. In verklausulierter, aber unmißverständlicher Form gab dieses Gremium zu verstehen, daß künftige Haupt der Streitkräfte müsse auch über „entsprechende Kompetenzen“ verfügen. Die hat der Korporal Walesa sicher nicht in den Augen der Militärs. Er will sie auch nicht, wie er bereits klargemacht hat.

Als Kompromißkandidaten schlug der Bürgerklub noch den Historiker Aleksandr Gieysztor und Tadeusz Fiszbach vor. Letzterer war bis 1982 Wojewodschaftssekretär in Danzig und wird als ein der Opposition wohlgesonnener Parteireformer gehandelt. Sein Sejm-Mandat hatte er mit Unterstützung des Danziger Bürgerkomitees erhalten. Tatsächlich ist Fiszbach in der Diskussion bereits öfter aufgetaucht und feiert als außenpolitischer Berater der Regierung eine Art politisches Comeback.

Sicher ist jedenfalls, solange die Frage der Präsidentschaft offen ist, kann auch keine Regierungsbildung vorgenommen werden. Denn nach der polnischen Verfassung obliegt es dem Präsidenten, einen Beauftragten für die Regierungsbildung zu ernennen.

Wenn Jaruzelski nicht Präsident wird, so die einfache Rechnung, bleibt er Parteichef. Rakowskis Abgang wäre damit sicher. Nach Verlust der Position des Regierungschefs wäre ihm auch noch eine Nachfolge Jaruzelski verstellt. Wer ihn jedoch ersetzt, steht noch in den Sternen. Einerseits werden in der Partei Wirtschaftsexperte Baka, der auch Sympathien bei der Opposition genießt, und Exminister Kwasniewski gehandelt. Demgegenüber weiß man hier, potentielle westliche Kreditgeber - wie der am Sonntag anreisende US-Präsident Bush - sähen lieber einen Parteilosen an dieser Stelle.

Wenn Bush bereits von einem demokratisch gewählten Präsidenten empfangen werden soll, müßte die Entscheidung über einen Kandidaten schnell fallen, um ihn noch in der ursprünglich für Donnerstag anberaumten Sitzung der Nationalversammlung bestätigen zu lassen.