Likud stellt Weichen für die Zukunft

Likud-Parteitag muß über den Schamir-Vorschlag entscheiden / Israels Ministerpräsident will Wahlen in den besetzten Gebieten / Im Falle einer Niederlage ist Ende der Koalition mit der Arbeiterpartei absehbar / Über zweihundert Palästinenser in der Westbank festgenommen  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Hunderte von Sicherheitsbeamten sollten verhindern, daß sich die 2.400 Likud-Delegierten gestern in Tel Aviv zu sehr in die Haare kriegten. Entscheidende Weichenstellungen wurden von dem Likud-Parteitag erwartet: entscheidend - weil Ministerpräsident Jizchak Schamir seine politische Zukunft an ein Votum für seinen Plan geknüpft hatte, Wahlen in den besetzten Gebieten abzuhalten.

Eine Niederlage Schamirs gegen seine von Minister Ariel Scharon angeführten radikalen Konkurrenten würde die Regierungskoalition mit der Arbeiterpartei aufs Spiel setzen. Mit der Niederlage wäre auch der Schamir-Plan begraben - sehr zum Mißfallen der Vereinigten Staaten, die bereits mit der PLO in Tunis über Änderungen verhandeln, über Änderungen, die nicht im Sinne der radikalen Expansionisten sind.

Die Sicherheitsbeamten sollten eine Wiederholung der Vorfälle von vor drei Jahren verhindern, als ein Parteitag in Handgreiflichkeiten zwischen den Anhängern Schamirs und Scharons und in einem allgemeinem Chaos geendet hatte.

Gestern nahmen die Delegierten in kämpferischer Stimmung ihre Debatte auf. Versuche, sich in letzter Minute auf einen Kompromiß zu verständigen, waren gescheitert. Der Konflikt zwischen den beiden Hauptkontrahenten geht bereits auf das Jahr 1982 zurück. Damals hatte sich Ministerpräsident Menchem Begin (Likud) nach dem Libanon-Krieg, für den der damalige Verteidigungsminister Scharon verantwortlich gemacht wurde, aus dem politischen Leben zurückgezogen. Heute wird der innerparteiliche Nachfolgekampf auf dem Terrain der Initifada, dem Palästinenseraufstand in den besetzten Gebieten, ausgetragen.

Unterstützung erhielt Schamir in den letzten 48 Stunden von Verteidigungsminister Jizchak Rabin (Arbeiterpartei), der mit Massenverhaftungen von Palästinensern den Kritikern des Ministerpräsidenten das harte Vorgehen der Regierung gegen die Intifada demonstrierte. In der Region von Ramallah und Bethlehem in der Westbank wurden über zweihundert Personen festgenommen. Zu den Verhafteten zählen unter anderem der Herausgeber der in Ostjerusalem erscheinden Monatszeitschrift 'Al Katib‘, Assad al Assad, und eine ganze Reihe von Intellektuellen und in Berufsverbänden aktiven Palästinensern, denen die Unterstützung linker Organisationen der PLO vorgeworfen wird.

Ein Sprecher der National-Religiösen Partei, die Teil der Regierungskoalition ist, begrüßte die neue Welle von Festnahmen und erklärte, ein aggressiveres und wirksameres Vorgehen sei notwendig, um in den besetzten Gebieten „die Ordnung mit eiserner Faust“ herzustellen. Der Fraktionsvorsitzende der Arbeiterpartei Haim Ramon erklärte demgegenüber, die Koalition könne nur überleben, wenn sie ein Friedensprogramm verfolge.

Laut einer Meinungsumfrage, die im Mai von der soziologischen und politologischen Fakultät der Universität von Tel Aviv erstellt wurde, sprachen sich 74 Prozent der Israelis für ein härteres Vorgehen gegen die Intifada aus. 46 Prozent der Befragten äußerten die Ansicht, Israel sei „zu demokratisch“.