Sexismus in Mathe

■ Gleichstellungsstelle dokumentiert Rollenklischees in den Lehrbüchern bremischer SchülerInnen

„Frau Berger will ihrem Säugling die Flasche machen. Er wiegt 3.900 Gramm. Gib die gesamte Nahrungsmenge an, wenn er 5 Flaschen am Tag bekommt.“ Wer diese typische Rechenaufgabe gelöst hat, darf sich Mathebücher ruhig genauer anschauen: Da baut Eric einen Lampenschirm aus sechs trapezförmigen Spanplatten. Da hilft Holger seinem Vater beim Bau und Herr Krüger läßt seinen Heizöltank mit 750 l Öl nachfüllen. Herr Krüger ist Geschäftsinhaber oder Dichter, auch Forscher oder Konditor könnte er sein - aber vor allem ist er erwerbstätig, hat also eine Arbeit, eine Freizeit, seine Hobbies, einen Sohn. Und eine Frau, die für einen Sommerausflug unter drei Röcken, sechs Blusen und zwei Paar Schuhen auswählen darf („Auf wieviele Arten könnte sie sich kleiden?“).

Frau Krüger kauft auf dem Wochenmarkt zwölf Eier für drei Mark, dreht abends den Wasser

hahn nicht dicht und spielt Fußball-Toto, obwohl sie doch von Fußball keine Ahnung hat. Ach, fast hätte ich vergessen: Herr Krüger hat auch eine Tochter Karin. Sie ersteht, wenn sie nicht gerade für Mutti Eier kaufen muß, im Ausverkauf Stoffreste für ihren Glockenrock.

So „spiegelt“ sich die Welt auch 1989 noch in den rund 30 Mathebüchern, die an Bremer Schulen derzeit in Gebrauch sind. Schon 1984 hatte die Bremer Gleichstellungsstelle in einer Untersuchung zu Rollenklischees an Grundschulen feststellen müssen, daß Frauen bzw. Mädchen, „noch immer“ diskriminiert werden.

Daraufhin waren die Schulbuchverlage sogar von der Kultusministerkonferenz aufgefordert worden, geschlechtsspezifische Rollenklischees „künftig zu vermeiden“. Daß die Verlage damit ihre Müh und Not haben, stellten jetzt die Lehrerinnen

Constanze Lopatecki und Irene Lübke fest, als sie ihre wieder von der Gleichstellungsstelle in Auftrag gegebene neue Studie zum Thema vorstellten.

In der Mehrheit der Bücher kommen erwerbstätige Frauen immer noch nicht vor. Lediglich die Mädchen sind aktiver, lösen auch schon ein paar knifflige Rechenbeispiele, allerdings nur gegen Belohnung, denn ihrer Natur entspricht das mathematische Denken nicht.

Umgekehrt übernehmen aber die Jungen jene traditionell Mädchen zugeschriebenen Eigenschaften oder Tätigkeiten nicht - und dieses Mißverhältnis reflektiert laut Ursel Kerstein lediglich die bereits existierende Doppelbelastung von Frauen in Beruf und Familie.

Alle zwei bis drei Jahre werden an Bremer Schulen die Lehrbücher ausgetauscht, gäbe es frauenfreundliche Texte, könnten sie angeschafft werden. Doch auf ei

ner kürzlich in Nordrhein Westfalen einberufenen Tagung schienen die Vertreter der Verlage nicht sehr einsichtig, sie gaben sich hilflos und nannten moralische Gründe für das Defizit, denn „Martina und Thomas zelten zusammen“, könne mann ja wohl nicht schreiben.

Lopatecki und Lüking sehen ein weiteres Problem: SchulbuchautorInnen sind fast nur Männer. Und die kennen in einem Mathebuch überhaupt nur eine einzige berufstätige Frau: Es ist die kaufmännische Angestellte, die ihrem unehelichen Kind das Nasenbein bricht und nicht nur „durch solche Brutalitäten, sondern auch durch häufige Kaufhausdiebstähle den örtlichen Behörden auffällt“.

Au weia! Stinksauer ist Ursel Kerstein: „Studien gibt es hiermit wirklich genug, jetzt muß endlich mehr Druck auf die Schulbuchverlage gemacht werden!“

rn