Wertkauf spielt Wildwest im Tarifkampf

■ Gewerkschaft HBV will heute die Innenstadt lahmlegen / Gestern begann Urabstimmung über Streik auch bei Wertkauf

„Als Antwort auf den Tarifbetrug“ (HBV-Vorsitzender Kröger) wird die Gewerkschaft heute die großen Innenstadtkaufhäuser bestreiken. Bei Karstadt, Horten, Quelle, Dyckhoff, Leffers und Obi soll der „Laden dichtgemacht“ werden. Auch gegen den möglichen Einsatz von Streikbrechern hat die Gewerkschaft vorgebeugt.

Der Betriebsrat von Dyckhoff in Hamburg hat gestern beim dortigen Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach die Firma Dyckhoff für jeden aus Hamburg in Bremen eingesetzten Arbeitnehmer eine Strafe von einer halben Million Mark zu zahlen hat.

Als gestern morgen ab acht Uhr die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) vor dem Personaleingang bei

„Wertkauf“ die Urabstimmung über Streik begann, dauerte es nicht lange, bis die unauffälligen Herren mit den dunklen Hosen und den Piepsern am Bund auf der Bildfläche erschienen. „Ich möchte es kurz machen“, eröffnete Verwaltungsleiter Rademacher, „sie kennen die Situation. Wir möchten es nicht, wenn Sie auf unserem Gelände einen Stand machen. Ich fordere Sie hiermit auf, den Platz zu verlassen, sonst stellen wir Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch.“ Der HBV-Ortsverwaltungsvorsitzende Hans Joachim Kröger sah dem gelassen entgegen, schließlich befand sich auf eben jenem Terrain auch eine öffentliche Bushaltestelle nebst Telefonzelle, und von einem schriftlichen Hinweis auf Privatgrund war weit und breit nichts zu sehen.

Am Abend zuvor waren die Gespräche der Gewerkschaft mit der Wertkauf-Geschäftsleitung über einen Anschlußtarifvertrag gescheitert. Der Einzelhandels-Konzern aus der Neustadt ist kein Mitglied des „Handelsverbandes Nordsee“ und aus diesem Grunde nicht tarifgebunden. Mitte Juni hatte Wertkauf in einem Schreiben an den Betriebsrat Forderungen an einen neuen Haustarif gestellt, die von der HBV als „Unverschämtheit“ bezeichnet wurden.

So sollten von den MitarbeiterInnen im Monat zwanzig Stunden pauschal mehr geleistet werden, über die Schichtzuordnung sollte einzig der Abteilungsleiter entscheiden, für einige MitarbeiterInnen war die Sechs-Tage -Woche vorgesehen, ab 1. Oktober sollte Donnerstags mindestens bis

20:30 Uhrgearbeitet werden, für die vielen Teilzeitbeschäftigten sollten künftig keine Mindestschutzregelungen mehr gelten. Als gestern eine Wertkauf-Betriebsrätin der Geschäftsleitung vorhielt, daß dies „Gutsherrenmanieren“ seien und nach Gutdünken gehandelt werde, wußte Verwaltungsleiter Rademacher zu kontern: „Gutdünken kommt von gut Denken.“

Mit solch eindringlichen Argumenten und offensichtlicher Einschüchterung versuchte das anwesende Trio aus der Chefetage, die Wertkauf-Beschäftigten von der Urabstimmung fernzuhalten. Personalleiter Krautscheid stand mit gezücktem Kugelschreiber im Personaleingang und notierte die Abstimmungswilligen. Der zweite Geschäftsführer Zaki, der sich zwischenzeitlich als Huber oder Mann vorstellte, lichtete alle ab, die ihm verdächtig erschienen.

Auch für das Verlangen, das Fotografieren zu unterlassen, hatte er nur höhnische Kommentare übrig. „Ich darf alles mögliche. Die Fotos sind für mein Familienalbum.“ Auf den Wunsch einer Betriebsrätin, die Negative herauszurücken, fragte er, ob sie sie in Hochglanz, Matt oder als Poster möchte.

Trotz dieser rüden Art (Verwaltungsleiter Rademacher stand des öfteren am Gewerkschaftstisch und ließ die wählenden Frauen wissen: „Denkt dran, der Zettel hat zwei Kreuze!“), ließen sich die Beschäftigten nicht fern

halten. Zur Überraschung der HBV hatten bis zum Ende der gestrigen Aktion um 14 Uhr fast 75 Prozent der gewerkschaftlichen Mitglieder abgestimmt.

Die von Wertkauf herbeigerufenen Beamten des 12. Polizeireviers konnten übrigens keinerlei Anzeichen für einen Hausfriedensbruch feststellen. Auch beim Recht aufs eigene Bild mußte die Wertkauf-Crew am Nachmittag den unorganisierten Rückzug antreten. Geschäftsführer Zaki händigte der HBV die Negative zur Vernichtung aus.

Morgen wird die Urabstimmung fortgesetzt. Die HBV geht von Kampfmaßnahmen aus, da das nötige Quorum nach ihrer Einschätzung heute erreicht werden wird.

Offensichtlich gehen die Aktionen der HBV im laufenden Tarifkampf dem Einzelhandel nun an Portemonnaie und Substanz. Dem niedersächsischen Einzelhandel sind in den vergangenen Wochen durch die Streiks gegen den Dienstleistungsabend Umsatzverluste im zweistelligen Millionenbereich entstanden. Das erklärte der Einzelhandels -Vorsitzende Vocke gestern in Hannover.

In Hamburg wurde am Mittwoch ein umfassender Tarifkompromiß festgeschrieben. Der Ladenschluß wurde grundsätzlich auf 18.30 begrenzt, die Löhne und Gehälter steigen um 3,9 Prozent und ab 1991 wird die wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden betragen. Andreas Hoetze