Rassisten haben gute Absichten

■ Antifaschistische Arbeit fängt im Freundes- und Bekanntenkreis an, lehren zwei niederländische Frauen in einem „Anti-Rassismus-Workshop“ / Keine rassistische Äußerung, hinter der sich nicht ein reales persönliches Problem verbirgt

„Hinter jeder rassistischen Äußerung steckt eine gute Absicht“, führt Ida aus. Wie bitte? Nicht nur ich mache anscheinend ein fragendes Gesicht. Hatte doch Peter gerade von einem Erlebnis in der U-Bahn erzählt. „Es gibt einfach zu viele Türken in Berlin“, hatte ein junger Mann zu einem anderen gesagt. Eine eher beiläufige Bemerkung, ganz alltäglicher Rassismus in Berlin. Auch um für solche Situationen künftig besser gewappnet zu sein, hatte mich der „Anti-Rassimus-Workshop“ der beiden Niederländerinnen Lida van den Broek und Ida Sabelis im „Bildungswerk für Demokratie und Umweltschutz“ interessiert. Eine Art antirassistisches Selbstverteidigungstraining hatte ich mir wohl vorgestellt.

Und wie ist nun der Hinweis auf die „gute Absicht“ zu verstehen? Im Rassismus, so sagen Ida und Lida, kommt auch der Wunsch nach Veränderung, nach einem besseren Leben zum Ausdruck. „Jemand, der sagt, die Ausländer nehmen uns die Wohnungen weg, hat Angst, für sich selber und seine Familie keine Wohnung zu bekommen.“ Es gäbe, so Lida, keine rassistische Äußerung, hinter der sich nicht ein reales persönliches Problem verberge. „Aber meine Mutter zum Beispiel, die lehnt alles Fremde ab. Das macht ihr einfach Angst“, widerspricht eine Teilnehmerin. Leicht ist es nicht zu verstehen, was die beiden Holländerinnen uns beibringen wollen. „Wie hättest du denn am liebsten reagiert?“ wird Peter nun nochmal zu dem U-Bahnvorfall gefragt. „Am liebsten“, gibt er zu, „hätte ich gesagt: In dieser Stadt gibt es auch zuviele Idioten“. Alle lachen.

„So kannst du Rassismus stoppen, aber du wirst nichts verändern“, erklärt Ida nochmal. Die einzige Möglichkeit ist, davon sind die beiden Sozialpädagoginnen überzeugt, auf die Rassisten zuzugehen und ihnen zuzuhören. Rassismus auf der individuellen Ebene begreifen und anzugehen ist ihr Ansatz in der antirassistischen Arbeit. Als sie vor einigen Jahren anfingen, ihre Workshops zu entwickeln, wurden sie von den damaligen Antifaschismus-Komitees deswegen heftig kritisiert: „Euer individueller Ansatz ist Quatsch“, hieß es, „wir müssen das politisch machen.“ Inzwischen kämen auch die niederländischen Linken auf sie zu und zeigten Interesse, sagt Ida. Inzwischen führen sie ihr antirassistisches Training sogar mit Polizisten durch. So erfolgreich, daß ihr Ansatz inzwischen fest in das Ausbildungsprogramm der Polizeischule intergriert wurde.

Was steckt wirklich hinter Rassismus, und wie funktioniert rassistische Unterdrückung, sind die Leitfragen des zweitägigen Workshops. Dafür fangen wir bei der eigenen Kindheit an. Zum einen geht es um die Aufarbeitung der eigenen rassistischen Sozialisation, zum anderen sollen wir uns erinnern, wie wir als Kinder unterdrückt wurden - und wie wir uns dagegen wehrten. Wie die Unterdrückungsmechanismen funktionieren, machen wir uns dann am Beispiel von unterdrückten Gruppen klar, zu denen wir selbst gehören: Frauen, Lesben, Behinderte, Arbeitslose. Erst ganz am Ende der zwei Workshoptage beschäftigen wir uns mit aktuellen rassistischen Erlebnissen und Erfahrungen. Und tatsächlich, mit dem, was wir inzwischen gelernt haben, können wir diese Vorfälle inzwischen anders betrachten. Wie die Lehrerin, die von rassistischen Äußerungen im Kollegium gegen türkische LehrerInnen berichtet. Die Türken, hatte es geheißen, würden einen so unpädagogischen Unterricht machen und den Lehrstoff nicht in der vorgegebenen Zeit bewältigen. Was steckt dahinter, fragen Ida und Lida. Die deutschen LehrerInnen, so tasten wir uns gemeinsam an eine Erklärung heran, würden auch gern einen guten Unterricht machen und fühlen sich von den (ausländischen) SchülerInnen überfordert. Dazu komme die Angst, daß die türkischen Kollegen ihnen trotz ihrer angeblich „unpädagogischen“ Methoden überlegen sein könnten.

„Aber was mache ich mit dem Jungen in der U-Bahn?“ fragt Peter. „Soll ich ihn etwa ansprechen und fragen: Was hast du nun für Probleme?“ Alle sehen ein, daß das wohl in der Regel nicht möglich sein wird. Als Allheilmittel gegen Rassismus wollen Ida und Lida ihr Training auch nicht verstanden wissen. Sie sehen Ansatzpunkte für eine antirassistische Veränderung eher in Bereichen, wo bereits Beziehungen zwischen Menschen bestehen, auf der Arbeit, im Freundes- und Bekanntenkreis oder in der Nachbarschaft. Nicht jeder Antirassist werde zwangsläufig politisch aktiv, heißt es in dem Buch, das Lida van den Broek über ihre Arbeit geschrieben hat. Aber Antirassimus dürfe sich nicht allein auf große politische Aktionen und Veranstaltungen beschränken. „Große beeindruckende Aktionen werden viel zu stark romantisiert; dadurch gerät Antirassismus leicht zu einer Veranstaltung, die sich fernab unserer persönlichen Sphäre abspielt. Aber gerade das Alltägliche ist ein wesentlicher Bestandteil.“

-guth

Literaturhinweis: Lida van den Broek, „Am Ende der Weisheit: Ein Handbuch“, Orlanda-Frauenverlag, Berlin 1988