IRGENDWIE THEATER

■ Denkt mal / Fragen an die Berliner Hochschulen

Mit unseren Augen lesen wir ein Stück. Wir schauen die Dinge an, die im Lichthof der TU als Denk-Mäler stehen, wir übersetzen. Das ist dies, das ist jenes. Wechseln also von einem Medium zum nächsten; vom Schauen, das nicht weiß, was das soll, zum Buchstabieren, zum Verstehen, also Dingfestmachen. Das Denk-mal links, z.B. ein viereckig fahrender Skulpturkasten, Stühle an den Ecken in die Luft ragend, verkleidet mit dem, was man aus der Ferne als Filz klassifiziert (von nahem sind es simple Stoffreste), das sich also, weil eine Frau im weißen Nachthemd zieht, auf eine andere Skulptur, einen überlebensgroßen amerikanischen Adler ohne Kopf, zubewegt. Was soll das, denken wir, und beobachten es vielleicht um so aufmerksamer, auch wenn es im Konzept unseres Verstehenswollens einen weißen Fleck oder allein seine Bildlichkeit hinterläßt.

Und hüten uns, Ben Wargin oder Gudrun Siegler, die das Stück inszeniert haben, danach zu fragen. Denn in der Ankündigung stehen ohnehin schon zuviele Dinge, die das alles erklären. Haben wir das Stück gesehen, wird alles auf einmal zum Grübelauslöser.

Der Lichthof der TU ist zweistöckig. Gespielt wird auf dem Boden und in den Säulengängen des ersten Stocks. Auf dem Boden stehen drei überlebensgroße Denkmäler, in der Mitte, in der Mitte eines buddhistischen Quadrats - aber das werde ich erst später von Wargin erfahren, beim Gucken sehe ich nur, daß schwarzgelb gestreift (Borussia?) ein Viereck markiert ist und im Inneren vielleicht zehn ununterscheibar müllgraublaue Schauspeiler mit diversen Müllacsessoires und Filzdecken ein lebendes Bild bilden.

Dieses löst sich auf, und zu Obertonklängen krabbeln Menschmüllmetamorphosen als Aussätzige herum. Müllkrüppel, Müllkäfer, Mischformen aus Einkaufswagen, Mensch und Mülltonne, ein Fuß nackt, der andre ist ein Rollschuh; Gewimmel, Köpfe wachsen aus dem Gerümpel. Gespenstermusik, während oben Schritte hallen, Wörter tönen, die in irgendeiner Weise auch wieder Müll sind: „Es ist Zeit, daß es Zeit ist...“ Schwarzgekleidet, Wasserglucksen: „Es war Erde, und sie gruben..., so ging ihr Tag dahin... Sie erdachten sich keinerlei Sprache.“ So bleiben sie in einer Theatersprache, die allein durch ihre Materialität wirkt, d.h. bedeutungslos werden kann.

Zwischen Säulen laufen die Bilder, die früher vielleicht einmal da hingen; jetzt sind es Zinkwannen, oder Kinderwagen, geschoben von Taschenlampenarbeitern. „Es kam die Schuld über uns aller warnenden Zeichen“, sagt oben jemand und „Wohin ging's - ins Nirgendwohin“ neben oder hinter mir, und als kindliche Hoffnung taucht plötzlich ferngesteuert ein blinkender Rollstuhl auf, der das Quadrat der Müllkrüppel umfährt, doch die könn'n ja nicht raus, die Armen, und mühen sich doch so, und während die Nachthemdfrau vor dem Denkmal des kopflosen Adlers in Pose erstarrt, verklingen letzte Schritte.

Ben Wargin, „das grüne Gewissen Berlins“ (Kewenig), ist nach ungefähr dreißig Jahren zum Theater zurückgekommen. Mit seinen GenossInnen hat er Collagen gebaut, in denen sich nichts mehr an persönlicher Geschichte finden läßt - das ist sozusagen deutsche Beckettnachfolge: der Industriemensch als Gattungswesen zwischen seinen Dingen, im Hintergrund Singsang. Und deutsch ist auch das Gerümpel als Kunstmüll, Zeugs von der Halde, nicht Kram aus dem Speicher, auch wenn es sich bei den Requisiten teilweise um Objekte handelt, die Wargin vor 20 Jahren gebaut hat. Merkwürdig bei all dem ist nur, daß sich die Gedanken so angenehm leicht zwischen den Dingen bewegen können, daß man sich z.B. überlegt, was es bedeutet, wenn die Ökophilosophie nichts ausschließt, also den Müll nicht zum verfemten Teil macht, ob das jetzt totalitär sei, weil man alles einschließt, wenn man nichts ausschließt, oder ein dialektischer Sprung.

Detlef Kuhlbrodt

„Denkt mal / Fragen an die Berliner Hochschulen“ inszeniert im Lichthof der TU, Straße des 17.Juni 135, 7.-9.Juli, 21 Uhr, Eintritt frei.