Bremen im Revolutions-Zirkus

■ Viel Spektakel unter der Marke 1789 / Doch die Realität sieht 1989 ganz anders aus

Der französische Zeichner Daumier scheint es gewußt zu haben: „Wiederholte Zirkusnummern“ (s.u.) sind gar nicht komisch. Die Geschichte wiederholt sich als Farce. Da reisen ganze Kompanien und Brigaden von Politikern, Künstlern und Professoren über die französische Grenze, Feste werden veranstaltet, Workshops, Vorträge, Ausstellungen, Musikdarbietungen, Theatervorstellun

gen finden statt - Geld spielt keine Rolle.

Die Inhalte offensichtlich auch nicht, denn alles hängt ja irgendwie mit 1789 zusammen: die Frauen, die Arbeiter, die Hutmacherei, die Verbreitung der Brillen im 3. Stand, die Vorsilbe „Re-“ in der französischen Sprachgeschichte - das sind doch alles kulturell wichtige Themen, nicht wahr? Seifenblasen.

Und Bremen, aus Jux und Dollerei, böllert da mit. Daß die Franzosen in Bremen auf die Pauke hauen, na klar. Radio Bremen ein aufwendiges Festprogramm bringt, na sicher. Die Hoschulen, Evolution satt „vom Feinsten“, logo. Die senatorische Behörde muß sich revolutionär „darstellen“, versteht sich. Französische Revolution im Buch, in der Boutique, im Waschsalon - das rechnet sich. Feuerwerk, Tusch, Schwamm drüber.

Nur: Wenn Schüler heute eine Klassenfahrt nach Frankreich machen wollen, wenn Lehrlinge verbilligt Reisemöglichkeiten suchen, wenn Studenten wegen einer Studienfahrt beim Französischen Institut, beim Deutsch-Französischen -Jugendwerk oder beim DAAD anklopfen, wenn Lehrer bei ihrem Fortbildungsinstitut vorsprechen - dann spielt Geld plötzlich eine Rolle. Und sie bekommen nichts, gar nichts. Tusch? Schwamm drüber?

Gleichzeitig zum Verkauf von revolutionären Souvenirs sieht die Realität hierzulande allerdings so aus: In Bremen gibt es keinen Anfangsunterricht Französisch in der Grundschule wie in anderen Ländern. In Bremen kann man im 5. Schuljahr Französisch wählen (um es in der Regel in der 7. Klasse wieder von vorne zu beginnen!). Die Zahl der Französisch-Schüler sinkt (aber ein deutsch -englischer Elite-Schulzweig wird geplant). Die Studentenzahlen nehmen zu, aber deren Berufschancen nehmen ab. Seit Jahren ist in Bremen kein Französisch-Lehrer mehr eingestellt worden. Bremen ist das einzige Bundesland ohne Französisch -Assistenten an Schulen. Je nach Rechnung betreuen zweieinhalb bis dreieinhalb Professoren 200 bis 300 Studenten. Die Universitätsbibliothek führt nur mehr drei französische Zeitungen (früher waren es ein Dutzend). Französische Literatur wird in den Bremer Buchhandlungen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Abteilungen kaum mehr angeschafft. In Bremen gibt es kein französisches Konsulat mehr. Radio-Bremen hat seine Schulfunksendungen Französisch eingestellt. Bremen hat nicht einmal eine Partnerschaftsstadt in Frankreich.

Selbstverständlich ist nicht alles, was uns in letzter Zeit unter der Marke 1789 verkauft wurde, Unfug gewesen. Seifenblasen und Feuerwerk haben im übrigen auch ihren Reiz. Aber es sind oft dieselben Leute, die heute „Hängt die Aristokraten an die Laterne“ singen und die morgen ein Stück Kreativität mehr abwürgen. Welche Kultur wollen wir höher hängen?

Klaus Schüle (Hochschullehrer für Französisch)