Bundeswehr will „Stückchen Türkei“ verkaufen

■ „Bremische“ soll ehemalige Kasernen am Niedersachsendamm sanieren und türkischen Familien „Wohnen nach unseren Standards“ ermöglichen

Auf dem ehemaligen Exerzierplatz, wo früher Soldaten sich im Gleichschritt den Kommandos der Reichswehrunteroffiziere beugten, spielen heute Kinder zwischen Wäscheleinen. Statt schwarzgewichster Stiefel knallen inzwischen Fußballschuhe über den kleinen Innenhof, während die Mütter vor den Haustüren ihren tobenden Kindern zuschauen und sich erzählen, wer den Moschee-Besuch geschwänzt hat und wer ein neues Auto gekauft hat. An den Hauswänden übertünchen ein paar Eimer stockig-gelber Farbe die Backstein gewordenen Wehrmachtsträume vom Leben als Zucht und Ordnung und Drill. Ansonsten hat sich hier in den letzten 50 Jahren niemand Mühe gegeben, eine Kaserne nicht mehr wie eine Kaserne, sondern wie ein menschenwürdigs Wohnquartier ausehen zu lassen. Selbst die Büste des alten Hindenburg hat niemand abmontiert, obwohl keiner mehr

von den Verdiensten des Siegers von Tannenberg weiß.

Huckelriede, Niedersachendamm 44 bis 60, direkt neben der Kaserne der Bereitschaftspolizei, rundherum Zäune und mannshohe Mauern. Wer nicht weiß, daß hinter den Zäunen Menschen wohnen, würde es selbst im Vorübergehen kaum ahnen. Ein schmaler Treppenaufgang führt durch die heckenüberwucherten Gitterzäune in den Innenhof mit den beiden Fußballtoren, der Schaukel, der Rutsche und den abgestellten Schrottautos. Von da aus in die dunklen Kasernenflure, in deren Mauervorsprüngen immer noch die Gewehrständer zu erkennen sind, auf denen heute die Lebensmittelvorräte, Zwiebel- und Kartoffelsäcke abgestellt werden. Vom schmuddelig grauen Wänden mit den Flicksetllen aus rohem Mauerwerk gehen die ehemaligen Manschaftsunterkünfte ab. Sie werden heute als „Wohnungen“ vermietet.

In einer wohnen die A.s seit 19 Jahren, solange wie die meisten hier. Zwei Erwachsene zwei Kinder auf insgesamt knapp 40 Quadratmetern. Ein winziger Flur, von dem zwei Zimmerschläuche abgehen. 14 Quadratmeter das Schlafzimmer für die ganze Familie. 14 Quadratmeter das Wohnzimmer, das gleichzeitig Küche und Badezimmer ist. Vorn in der Ecke ein Kohleherd, dessen Ofenrohr direkt über dem Fernseher endet eine Gasheizung gibt es nur im ehemaligen Büro der Bauleitung - , dann die Spüle mit fließend kaltem Wasser, die gleichzeitig einzige Waschglegenheit ist, drei Sessel, ein Tisch. Das Zimmer ist voll, selbst wenn

sich niemand drin aufhält.

Deutsche wohnen längst nicht mehr in den ausgedienten Kasernenblöcken, fast nicht mehr. Von den rund 160 Familien stammen 156 aus der Türkei, vier Familien sind deutsch „Überbleibsel“ der zivilen „Ureinwohner“ der Kasernen nach dem Ende des Kriegs: Im Auftrag der Bundeswehr vermietete das Bundesvermögensamt die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte an Aussiedler und Flüchtlinge. Als die Ende der 50er etwas besseres fanden, war die Kaserne für türkische Gastarbeiter immer noch gut genug und ist es bis heute.

Das könnte sich jetzt ändern, Das Bundesvermögensamt, Ver

walter und Vermieter der Kasernen, will die alten Kästen nicht länger unterhalten und schon gar nicht sanieren. Sie sollen verkauft werden. Mit der „Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung und Wohnungsbau“ sind die ersten Verhandlungsgespräche geführt worden. Ein Sprecher der Bremischen bestätigt: Wenn der Preis stimmt und Städtebauförderungsmittel losgeeist werden können, sollen am Niedersachsendamm Wohnungen entstehen, die auch „unseren Wohnstandards genügen“.

Zumindest wenn es nach den Bewohnern geht, dürften die Kosten durchaus günstig sein. Ihr Wünsche sind bescheiden. „Eine

Dusche wäre schön“, finden z.B. die A.s, und natürlich langfristig eine Wohnung, die ein bißchen größer ist. Allein um die Dusche kämpft Ayhan A. schon seit Jahren erfolglos, obwohl er Mitglied im 24 Männerköpfigen Mieterkomitee ist. Bislang verliefen alle gemeinsamen und individuellen Vorstöße für eine Duschkabine erfolglos: Wer eine Dusche will, soll sie sich auf eigne Kosten einbauen, lautete die strereotype Antwort der Vermögensamts-Sachbarbeiter. Dafür untersagte das Vermögensamt die Benutzung der früheren Mannschaftswaschräume, in der die Mieter bislang nicht nur sich, sondern auch ihre Wäsche wuschen: Durch Wäscheflusen seien die Ablußrohre gefährdet.

Insgesamt 20 Aktenordner mit Anregungen und Verbesserungsvorschlägen stehen inzwischen im Büro des Mieterkomitees, seit Anfang der 80er Jahre ein paar Sozialarbeiter sich intensiv um die Betreuung der Mieter kümmerten und sogar eine Quartiers-Zeitung, die „Niedersachsendammer Haberli“ herausgaben. Die Zeitung gibt es längst nicht mehr, die Sozialarbeiter haben andere Aufgaben bekommen und haben nur noch Zeit für gegentliche Sprechstunden. Genützt haben die vielen kleinen und immer wieder vorgetragenen Verbesserungsvorschläge ohnehin nichts. Eine Straßenbeleuchtung gibt es bislang ebensowenig wie einen zusätzlichen Müllcontainer.

Über einen neuen Vermieter würden sich deshalb viele freuen. Denn wohnenbleiben wollen sie alle, im Ghetto am Niedersachsendamm.

K.S.