: Druckmittel gegen die Polizei in der Hand
Die Linguistin Ilona P. (25), die sowohl im Hamburger als auch im Berliner Polizeikessel eingeschlossen war: „Schlimm war keiner“ / Das zugesprochene Schmerzensgeld soll für andere Prozesse zur Verfügung gestellt werden ■ I N T E R V I E W
taz: Du warst nach der gescheiterten Brokdorfdemo am 8.6. '86 im Hamburger Polizeikessel und am 12.6. '87 im Berliner Polizeikessel. Bist du so eine Politaktivistin oder war das Zufall?
Ilona P.: Eigentlich war es reiner Zufall. In Hamburg war es so, daß wir bei der Brokdorfdemo bei Kleve in die Polizeiblockade gekommen sind und dann nicht in derselben Nacht wieder nach Berlin zurückfahren wollten, weil wir ziemlich sauer waren. Am nächsten Tag sind wir deshalb in Hamburg auf die Straße gegangen und hatten uns eigentlich nur ganz kurz versammelt, als plötzlich kein Wegkommen mehr war. Die Polizei kam von allen Seiten, insofern waren wir mitten drin. Hier in Berlin war genau die gleiche Geschichte: Am Tag nach der Großdemo, als Reagan wirklich da war, war ziemlich die Luft raus. Alle Leute sind zum Kudamm, und wir sind ein paarmal die Straße hoch und runter und dann war der Kessel da.
Welcher Kessel war schlimmer?
Schlimm war gar keiner. Der erste war halt ein bißchen nervig, weil keiner wußte, wie lange es dauern wird. Nach acht Stunden sind wir aufs Polizeirevier gekommen und haben eine Stunde in der Zelle gesessen und sind danach mitten in der Nacht in Hamburg rausgesetzt worden. Das war ein bißchen schwierig, aber der Ermittlungsausschuß hat sich ziemlich schnell um uns gekümmert. Und hier in Berlin war es ein bißchen nervig, weil es in Strömen geregnet hat. Das wurde aber dadurch wett gemacht, daß viele Leute drumherumstanden und uns Essen und Getränke reingeworfen haben.
Hast du für die Zeit im Hamburger Kessel Schmerzensgeld bekommen?
Ja, wir haben vom Richter 200 Mark zugesprochen bekommen mit dem Spruch, daß wir uns alle einen schönen Tag machen sollen. Das Geld ist aber von fast allen Leuten gespendet worden, hauptsächlich an den Ermittlungsausschuß.
Hier in Berlin hast du nicht selbst gegen den Kessel geklagt, wirst du trotzdem Schmerzensgeld fordern?
Selbstverständlich. Aber nicht um das Geld einzustecken, sondern um es wieder anderen Leuten für Prozeßkosten zur Verfügung zu stellen, oder anderen Gruppen für einen Widerstand in jeglicher Art.
Was ziehst du für ein Fazit daraus, daß der Hamburger und Berliner Kessel für rechtswidrig erklärt wurden?
Nachdem es sowohl nach dem Hamburger wie auch dem Berliner Kessel eine relativ positive Presse für uns gegeben hat, denke ich, daß es für die Polizei einfach nicht mehr so leicht ist, bei jeder Demo einen Kessel zu machen. Bei den IWF-Aktionstagen nach dem Stadtspiel der Mittelamerikagruppen zum Beispiel gab es auch so einen kleinen Kessel. Da hat die Polizei gleich gesagt, daß ist kein Kessel sondern eine sogenannte flexible Begleitung bis zu den U-Bahnhöfen. Ich denke, das diese Kessel ein Politikum geworden sind, und es insofern nicht mehr so leicht sein wird, sie zu wiederholen.
Hast du das Gefühl, daß sich die Polizei deshalb mehr zurückhält?
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Aber die Polizei kann jetzt einfach damit rechnen, daß die Leute wieder vor Gericht ziehen und im Nachhinein Recht bekommen. Das wird die Polizei nicht hindern, aber wir haben einfach ein besseres Druckmittel in der Hand.
Interview: plu
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