Wie kommt der Klappstuhl zum Strand?

■ Am Mittwoch und am Donnerstag fanden zwei Bürgeranhörungen zum Thema „Sperrung der Havelchaussee“ statt / Sowohl die CDU als auch SPD und AL versammelten Lobbygruppen und Bürgerinitiativen / Hassemer (CDU) hält „Teilsperrung für denkbar“

Nur ein Tag lag zwischen den beiden Anhörungen, zu denen am Mittwoch die CDU und am Donnerstag SPD und AL geladen hatten. Beide Veranstaltungen hatten dasselbe Thema: die von der Koalition geplante Sperrung von Waldstraßen und in erster Linie natürlich der Havelchaussee. Ob sich der Senat mit diesen Plänen wirklich den Bürger „zum Feind“ macht, wie das der Ex-Senator und heutige Umweltsprecher seiner Fraktion, Volker Hassemer (CDU), vermutet, ließen die Anhörungen offen.

Naturgemäß artikulierten sich nur sogenannte Verbandinteressen. Was die Nähe zum „Bürger“ betraf, so konnten SPD und AL zumindest mit der Termin ihres Hearings die CDU locker schlagen: die hatte einen bürgerfeindlichen Mittagstermin gewählt, was ihr die Anwesenheit der Fernsehteams, aber auch den Ärger mancher Geladenen sicherte.

Weil der ADAC trotz des Termins am späten Nachmittag der rot-grünen Einladung für Donnerstag nicht gefolgt war, hatten die Befürworter einer Vollsperrung dort eine leichte Mehrheit. Für den Wald wäre diese Operation das „Optimale“, meinte der Leiter des Landesforstamtes, Meierjürgen. Daß die Diskussion über die Berliner Waldstraßen wieder „in Bewegung“ komme, begrüßte der oberste Forstverwalter „außerordentlich“. Ähnlich sah das der Landschaftsplaner Clemens Szamatolski, der schon vor zwei Jahren im Auftrag des alten Senats den Zustand an der Havelchaussee begutachtet hatte. Für Szamatolski folgt aus seinem Gutachten „ganz zwingend“ die vom alten Senat ignorierte Forderung, den motorisierten Individualverkehr „komplett herauszunehmen“. Neben den Abgasen, die hier bis zu 10.000 Autos an schönen Sommertagen in den Wald blasen, sorgt sich der Naturschützer vor allem um die Trinkwasserbrunnen der Wasserbetriebe, die in unmittelbarer Nähe der Straße im Boden liegen. Tropfendes Öl aus geparkten Autos, Reifenabrieb und andere Schadstoffe seien eine „erhebliche Belastung“ für die „völlig ungeschützten“ Brunnen unter der Erde.

In Westdeutschland, meinte auch Dieter Schulze von den städtischen Wasserbetrieben, stünde dort, wo in Berlin die Havelchaussee verläuft, ein Zaun, um die engere Wasserschutzzone um die Brunnen vor jeder Gefahr für das Trinkwasser zu bewahren. Zwischen Lieper Bucht und Großer Steinlanke verläuft die Ausflugsstraße in unmittelbarer Nähe von insgesamt einundachtzig Brunnen, die immerhin in der Lage sind, einige hunderttausend Menschen mit Trinkwasser zu versorgen. Eine Straße sei hier „eigentlich“ gar nicht zulässig, sagte Schulze.

Er wollte sich, zur Freude der CDU auf deren Anhörung, dennoch nicht hinter die Forderung einer Totalsperrung der Havelchaussee stellen. Sie „mindere zwar das Gefährdungspotential“, bringe aber „keine wesentliche Verbesserung“. Die Wasserbetriebe, so Schulze, wünschten bloß den schutzzonengerechten Ausbau der Straße, der das Auslaufen von Schadstoffen in den Boden verhüten könnte. Außerdem verlangen die Wasserwerker ein „uneingeschränktes Halteverbot“ entlang der Straße. Bislang sei das leider „nicht durchgesetzt“ worden.

Szamatolski widersprach dagegen der Rangfolge, die Schulze aufgemacht hatte. Für den Landschaftsplaner wäre die Totalsperrung der wichtigere Schritt. Unterstützt wurde er in dieser Haltung von den Naturschutzverbänden: dem BUND, dem Volksbund und der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN), dessen Vertreter betonte, sein Verband habe die Sperrung von Waldstraßen schon vor zwanzig Jahren gefordert.

Unterstützung fanden sie natürlich auch vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und von einem Radsportler, während der Landessportbund und die Surfer ganz anderer Meinung waren. Eine Sperrung der Straße käme „einer Knebelung des Surfsports in Berlin gleich“, meinte ein Surfer. Andere Plätze für ihren Wassersport gebe es in Berlin nicht. „Wir können dann gleich an die Nord- oder Ostsee fahren“, meinte auch Horst Albath von der BI Havelchaussee.

Selbst wenn die BVG mit eigens konstruiertem Anhänger den Transport zur Havel besorge, was BVG-Chef Lorenzen als machbar bezeichnete, selbst dann blieben für Windsurfer noch Fragen offen: wohin sollten sie mit dem Zweit- und Drittbrett, während sie mit dem einen auf dem Wasser unterwegs seien, wie sollten Familien Kühltaschen, Paddelboote, Klappstühle und andere offenbar unentbehrliche Ausflugsmöbel zum Strand und wieder nach Hause schaffen? Neben den Existenzsorgen der Gastronomen, die entlang der Chaussee ihre Restaurants betreiben, waren dies die Probleme, die die CDU auf den Plan riefen. Ex -Verkehrssenator Wronski, dessen Verwaltung jahrelang das von den Wasserbetrieben geforderte Halteverbot entlang der Chaussee torpediert hatte, machte sich ausdrücklich zum „Anwalt“ der kinderreichen Familien. Von „Schikanen“ sprach der CDU-Verkehrsexperte Rainer Giesel und auch Hassemer fand für den Totalsperrung den Ausdruck „Totalschlagsmaßnahme“ angemessen.

Hassemer versprach immerhin, seine Partei wolle „bei allen Maßnahmen mitmachen“, die zu einer „umweltschonenderen Nutzung der Havelchaussee“ führen könnten. Der CDU -Politiker, von 1981 bis 1983 Umweltsenator, bestätigte der taz, daß für ihn auch eine Teilsperrung für den Durchgangsverkehr „denkbar“ sei. Damit griff er die Position auf, die auch die Surfer der BI Havelchaussee und neuerdings - Restaurantbesitzer vertreten.

Hassemer meinte überdies, „jeder Monat“, in dem die Straße nicht wenigstens schutzzonengerecht ausgebaut werde, sei ein Monat zuviel. Glaubwürdig konnte diese Forderung freilich nicht sein: Zehlendorfs Baustadtrat Menzel (CDU) bestätigte am Rande der CDU-Anhörung, der Senat habe dem Bezirk in den vergangenen Jahren stets das Geld für diesen Straßenumbau verweigert. Zuletzt war er auf 1994 verschoben worden.

Dem Argument, die Vollsperrung treffe ausgerechnet die kinderreichen Familien, widersprach überdies Landschaftsplaner Szamatolski. Gerade die Surfer, auf das Auto besonders angewiesen, hätten in den vergangenen Jahren die Familien vom Havelstrand verdrängt. Mit ihren Brettern und Segeln blockierten die Surfer nämlich große Teile des Ufers. Für andere bleibe oft kein Platz mehr. Auch der vielen Autos wegen, meinte Karin Lücker vom Verband der Elterninitiativ-Kindertagesstätten, sei das Havelufer für die Mitglieder ihres Verbandes „nicht attraktiv“.

Den Surfbrett- und Kühltaschenbewährten Berlinern wird die ungehinderte Zufahrt über die Havelchaussee diesen Sommer dennoch erhalten bleiben. Erst nach der Sommerpause, versprach der SPD-Abgeordnete Behrendt, werde der Senat sein Konzept für die Schließung vorlegen. Die Schranken werden sich frühestens im November über die Straße senken - so zumindest der Zeitplan des zuständigen Mitarbeiters der Senatsumweltverwaltung.

Der Wintertermin, so seine Hoffnung, könnte auch die Proteste in Grenzen halten. Darauf kann sich der AL-nahe „Trägerkreis Havelchaussee“ nicht verlassen. Er will schon am 16.Juli die Ausflugspiste dicht machen - nur für einen Tag und zum Zwecke eines Sommerfestes, das die Attraktivität einer autofreien Chaussee vorführen soll. Die Polizei warnte die Veranstalter bereits: heftige Proteste an den Absperrungen seien zu erwarten.

hmt