„Cosi fan tutti“: Italien erstickt am Öko-Boom

Am Tag, als der Regen kam, war das Umweltbewußtsein wieder futsch / Italiens verbaler Öko-Boom und die traurige Realität / Auch Grüne und Medien gespalten  ■  Aus Rom Werner Raith

„Die Sache wird“, erkannten die Wirtschaftsredakteure von 'La Repubblica‘ schon vor drei Jahren, „bis zum Jahr 2000 eine ähnliche Goldgrube wie in den fünfziger Jahren der Bausektor und in den achtzigern High-Tech“: Die Rede ist vom „Öko-Boom“, der spätestens seit der Katastrophe von Tschernobyl Italiens quirlige Managerwelt „mit einemmal zu Kolonnen grüner Heinzelmännchen gemacht hat“ (so 'il manifesto‘). Mehr als hundert Milliarden Mark will der italienische Staat in den nächsten zehn Jahren für Umweltschutz ausgeben: Kein Wunder, daß wendige Firmenchefs wie der Senkrechtstarter Carlo De Benedetti (Olivetti) sich flugs zum „Grünen“ erklärten, Landwirtschaftsherrscher wie Raul Gardini (Ferruzzi - weltweit zweitgrößter Pflanzer) ihre Liebe zur Ökologie mit einem der EG-Kommission angedienten gigantischen Projekt für „grünes Benzin“ dokumentieren, und FIAT-Agnelli den von ihm längst wegen der Sättigung des Automarktes beschlossenen Investitionsstopp im Kraftfahrzeugsektor als „Beitrag zur Entlastung der Städte von Abgasen“ zu verkaufen suchen.

Ökologie, so scheint es, boomt in Italien wie in sonst keinem anderen Land, und alle, alle sind dafür. Tausendfach taufen sich biedere Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe um und führen nun den magischen Titel „Eco-“ im Schilde: „Eco-Proggettazione“ (Öko-Planung), „Ecoconsiglio“ (Öko -Rat), „Eco-Protezione“ (Öko-Schutz) oder, in bescheidener Verdopplung gleich „Verdeco“ (Grün-Öko) heißen und landauf, landab die Unternehmen, die sich um Müllentsorgung und umweltfreundliches Bauen, Kaminentgiftung und Küstensäuberung kümmern.

Öko-Kammerjäger bringt Vögel um

Darunter freilich ist so manche taube Nuß: „Eco-Sistem“ zum Beispiel nennt sich in der Provinz Latina eine Firma, die nichts anderes anbietet als „Hausdesinfektionen“. - Im Klartext sind das Kammerjäger, die Zimmer und Schulen von (meist sowieso nur vermuteten) Wanzen, Läusen, aber auch Ameisen und Mücken „säubern“, mit Unmassen von Giften, die neben dem sogenannten Ungeziefer auch hunderteweise Todesopfer unter den ringsum nistenden Vögeln und den streunenden Hunden und Katzen fordern und Kleinkinder monatelang zum Husten reizen. „Eco-Sistem“ hieß auch die famose Firma im mittelitalienischen Casale Monferrato, die angeblich auf „absolut umweltschützende Weise ihre Abfälle beseitigt“ - und die tonnenweise schwer toxischen Müll gleich nebenan abkippte, wodurch das Trinkwasser für über 40 Gemeinden auf Jahre hinaus vergiftet wurde.

Auch die Parteien haben mittlerweise ausnahmslos den Trend aufgenommen - Schulter an Schulter marschieren zum Beispiel Neofaschisten mit Kernkraftgegnern, reihen sich Christdemokraten in Unterschriftenaktionen für das Verbot von Pestiziden ein: Sozialisten suchen ebenso wie mittlerweile auch die Kommunisten den Grünen, das Copyright für Ökologie streitig zu machen. Doch auch hier die Ambivalenz: Der ehemals hochangesehene sozialistische Umweltminister Giorgio Ruffolo (er gehört zum Herausgeberteam der linken Diskussionszeitschrift 'Micromega‘) blamiert sich im Dschungel der Parteidirektiven, wo es nur geht. - Die Serie von gegensätzlichen Orders bei der Rückkehr des aus Italien in die Dritte Welt verschifften Giftmülls bilden noch heute Anlaß für unzählige Witze. Bei seinem Gesetzentwurf über Gift-Entsorgungsanlagen vergaß Ruffolo, Gipfelpunkt der Fahrigkeit, sogar die Finanzierung der neuen Anlagen einzubauen. Gespalten auch die Kommunisten: Während die PCI -Führung zum Beispiel einen FIAT-Plan für riesige Versicherungs- und Verwaltungsbauten in und um Florenz mit massiven Eingriffen ins ökologische Gleichgewicht als „epochale urbanistische Leistung“ preist, haben die örtlichen, vor allem jüngeren PCI-Vorsitzenden, dem Plan eine totale Absage erteilt.

Wer ist die beste Öko-Partei?

Öko-Bewußtsein suchen seit einiger Zeit auch Italiens Medien zu beweisen. Keines, vom traditionell öko-aufgeschlossenen 'il manifesto‘ bis zur neofaschistischen 'Il XX. secolo‘, vom staatlichen Rundfunk RAI bis zur Privatkette des Medienzaren Silvio Berlusconi, verzichtet auf Umwelt-Serien für Kinder und Erwachsene.

Viele Worte, viele Bekenntnisse also, doch wenig Taten. Noch immer funktionieren weniger als 20 Prozent der Müllentsorgungs- und Abwasserreinigungsanlagen. Manche von den lokalen Administrationen mit höchstem Presselob eingeweiht, erweisen sich sogar als besondere Schmutzförderer: So ließ im südlichen Latium ein Amtsrichter die örtliche Wasserreinigungsanlage beschlagnahmen, weil sie nach seinen Messungen mehr Gift und Unrat ins Meer entließ, als man oben hineinschüttete. Die Lösung des Rätsels: Die Anlagenbauer hatten, gut geschmiert, unterirdisch von den nahen Hotels direkte - und damit kostenlose Leitungen in die Kloake hineingeschmuggelt. Teilweise Folge, teilweise aber ihrerseits Ursache der Doppelmoral einer verbalen Anerkennung der Notwendigkeit bei gleichzeitigem individuellen Nichtdranhalten ist das alltägliche Verhalten allüberall.

Bei Farmoplant explodierten die Probleme

Sprichwörtlich bereits der gehobene Beamte oder Steuerberater, der sich ungeheuer über „die Schweine“ erregt, „die da ihren Müll am Straßenrand abladen“ - um dann das zerschlissene Sofa der Oma auch noch dazuzustellen. „Cosi fan tutti“, sagt er, alle machen's doch so. „Wo es weniger Schmutz gibt“, sagt der toskanische Regionalabgeordnete Enrico Falqui, „ist das weniger auf gestiegenes Bewußtsein der Leute zurückzuführen, als darauf, daß sich die Umweltzerstörung irgendwo auch wirtschaftlich nachteilig auswirkt. Dann erst sind die meisten bereit, etwas zu tun.“

Falqui zum Beispiel hatte seit Jahren die Gefährdung und Verschmutzung durch das Chemiewerk Farmoplant angeprangert nichts geschah. Selbst nachdem sich 70 Prozent der Bevölkerung von Massa Carrara in einem Referendum gegen den Weiterbetrieb ausgesprochen hatten, reagierten die meisten Leute gleichgültig - bis die Firma wenig später in die Luft flog. Und da waren es dann die Hoteliers und Strandanlagenbesitzer, die wegen ausbleibender Gäste die Schließung durchsetzten.

Umgekehrte Reihenfolge in Mailand und anderen Großstädten: Als die sechsmonatige Regenlosigkeit im Januar eine Smogglocke wochenlang regelrecht sichtbar machte, brodelte es in der Bevölkerung wie in einem Hexenkessel. - Und alle, die Parteien wie die Kirche, die Ambientalisten wie die Automobilclubs, überboten sich in guten Rezepten. Dann kam der große Regen, und seither hört man nichts mehr von langfristigen Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung. Wo alle bei Bedarf über Ökologie schwätzen, aber nichts tun, geraten offenbar auch jene in Schwierigkeiten, die als erste zum Umweltschutz angetreten waren, die Grünen und die großen Öko -Vereinigungen. Längst scheint sie ihr Grundanliegen aus den Augen verloren zu haben. Statt konkreter und praktischer Aktivitäten streiten sich die Grünen vor allem, ob sie sich als Partei begreifen sollen oder nur als Förderation unabhängiger Initiativen.

Eine Situation, die mitunter an den alten Pyrrhus erinnert: Er eilte von Sieg zu Sieg, aber am Ende hatte er alles verloren.

Italiens Umweltschützer sehen sich anerkannt wie noch nie. Doch die Gefahr, daß der Öko-Boom gleichzeitig die Praxis der Ökologie zerstört, ist nicht von der Hand zu weisen.