Abtreibung: Die Zeit läuft

Die nächsten drei vor dem US-amerikanischen Obersten Gericht zu behandelnden Fälle können den Weg zur endgültigen Aufhebung der Abtreibungsfreiheit ebnen  ■  Von Andrea Seibel

Es ist noch keine Woche her, da legte der Supreme Court in Washington mit seinem Urteil zur Abtreibung eine Bombe in die amerikanische Gesellschaft, deren Sprengkraft auch dem/r letzten parlamentarischen HinterbänklerIn bewußt ist. Seit 1973 nach langen Beratungen das Grundsatzurteil „Roe gegen Wade“ mit 7:2 der Frau das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Abtreibung in Form einer Fristenregelung zusprach, wurde auch schon wieder an seiner Demontage gebastelt. Mit der am 3. Juli 1989 erfolgten 5:4-Entscheidung, zwar nicht grundsätzlich dieses 73er-Urteil zu revidieren, jedoch die restriktive Abtreibungsgesetzgebung des Bundesstaates Missouri zu bestätigen, hat das Gericht fundamentalistischen Abtreibungs-GegnerInnen einen großen Dienst erwiesen. Daß dabei die Stimme der einzigen Richterin ausschlaggebend war, ist besondere Finesse der konservativen Revolution.

In Missouri geht es in erster Linie um ein Verbot von Abtreibungen in staatlichen Kliniken und das Verbot von Schwangerschaftsberatung, wenn die Möglichkeit einer Abtreibung besteht. Zudem wird der Beginn menschlichen Lebens im Missouri-Gesetz mit der Empfängnis und nicht wie im 73er Urteil ab der Überlebensfähigkeit außerhalb des weiblichen Körpers definiert, was das verbriefte absolute Selbstbestimmungsrecht der Frau in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft demontiert. Ungefähr 1,6 Millionen Frauen treiben jährlich in den USA ab. Die sozialen Implikationen einer Verschärfung liegen auf der Hand. Unter dem Strich: der fundamentalistische Wahn hat den öffentlichen Raum usurpiert. Begriffe und Medien wurden von AbtreibungsgegnerInnen besetzt.

Den Frauenverbänden bleibt jedoch nicht viel Zeit, Wunden zu lecken, neue Konflikte auf bundesstaatlicher Ebene bahnen sich an. Erster Indikator: der republikanische Gouverneur des Staats Florida, Bob Martinez, will in den nächsten drei Monaten eine Sondersitzung der Legislative einberufen, um eine Verschärfung der Abtreibungspraxis in seinem Staat zu diskutieren. Florida könnte so zum Experimentierfeld für andere konservative Bundesstaaten werden. Allgemein wird jedoch damit gerechnet, daß frühestens im Januar, wenn 44 Parlamente der Bundesstaaten turnusmäßig tagen, die Abtreibungsfrage zum Thema wird.

Der Supreme Court hat mit seiner Ankündigung, im Herbst drei weitere Fälle zu behandeln, signalisiert, daß für ihn „Roe gegen Wade“ noch lange nicht gegessen ist. In allen drei Fällen geht es um Bundesstaatsgesetze, die einer Schwangerschaft in den ersten drei Monaten Hindernisse in den Weg legen. In zwei Fällen geht es um das Recht von Teenagern, in jedem Stadium der Schwangerschaft ohne Einbeziehung der Eltern abzutreiben (Minnesota und Ohio). Der dritte Fall kommt aus Illinois: Zwei untergeordnete Gerichte des Staates befanden, daß ein Bundesgesetz, das gleiche Standards in Abtreibungskliniken und OP-Sälen verlangt, die Möglichkeit von Abtreibungen in den ersten drei Monaten behindert. Der Staat Illinois fordert nun von den obersten RichterInnen, zu entscheiden, wann denn entsprechende Auflagen „zweckmäßig/ rational“ seien. Der Begriff der „Rationale Basis“ ist letzte konstitutionelle Überprüfungs-Kategorie. Wenn die RichterInnen diese Einladung des Staates Illinois annehmen und Auflagen gegenüber Abtreibungskliniken als „zweckmäßig“ bezeichnen, dann ist der konstitutionell verankerte Schutz der Abtreibungsfreiheit aufgegeben, ob das Gericht nun explizit „Roe gegen Wade“ revidiert oder nicht. Mit Entscheidungen wird frühestens in einem Jahr gerechnet, die Bombe aber tickt.