„Bitte, bitte nicht bei Wertkauf kaufen“

■ Einzelhandeslstreik: Wertkauf-Belegschaft verprellte ausnahmsweise und sehr freundlich die eigene Kundschaft

„Bitte, bitte, bitte - helfen Sie uns doch und kaufen Sie heute ausnahmsweise mal woanders ein!“ Fast flehentlich aber mit verschmitztem Lachen in den Augenwinkeln begrüßte Wertkauf-Betriebsratsvorsitzende Margot Kraft am Samstag morgen jeden potentiellen Wertkauf-Kunden mit einem kräftigen Klopfen ans Auto-Seitenfenster und fügte durch die verdattert runtergedrehten Scheiben aufklärend hinzu: „Wir streiken heute nämlich für unseren Feierabend und für den Abschluß eines Haustarif

vertrags.“

Rund 100 Wertkauf-MitarbeiterInnen gingen am Samstag erstmals auf Die (Duckwitz)Straße, und streikten für Feierabend, Urlaubs-und Weihnachtsgeld - Direkt unter den mißbilligenden Blicken der leitenden Herren von der Wertkauf -Geschäftsführung. Unter den Augen des eigens eingeflogenen Wertkauf-Abschnittsleiters „Nord“, der dem Bremer Streik -Treiben in lässiger Feldherrnpose vom anderen Ufer der Kundenströme zusah, schlichen sie karrierefördernd als

wandelnde Loyalitätsbekun dungen den Autokundenkorso auf und ab, um guten Eindruck auf den Chef bemüht und um modische Distanz zum gemeinen Streikvolk: Wie ein nach dem nächtlichen Striptease -Barbesuch arglos in Vorstadtgefilde getaumelter Einführungskurs „Wie werde ich Brooker an der New Yorker Börse? “ sahen die Herren Abteilungsleiter von der Frischfisch-und Fahrradzubehörabteilung mit den Schwitzplacken unter den City-Streifenhemden-Ärmeln aus, während sie bei der

Wochenendkundschaft die Verwirrung komplett machten: „Lassen sie sich durch die Gewerkschaft nicht davon abhalten, auch heute bei uns einzukaufen. Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, Sie zu bedienen.“

50 Meter Schrittempo dauerte derweil der Gewissenskonflikt der KundInnen: Entweder unter Beifall der Streikenden links ausscheren und kehrtmachen oder sich unter Buh-Rufen und Pfeifkonzerten einen Dreck um Feierabend und Tarifverträge scheren und streikbrecherisch Kurs Richtung Kundenparkplatz halten. Dort warteten rund zwei Dutzend StreikbrecherInnen, die die geschäftsleitung im Morgengrauen über Schleichwege, Ochtumwiesen und Zaunlöcher eingeschleust hatte. Das Ergebnis im Tauziehen um die Kundschaft nach einer Stunde: Unentschieden mit leichten Vorteilen für die Streikposten. Dem frenetischen Beifall für jeden, der sich an diesem Tag mit freundlichem Hupen vorzeitig Richtung Roland-Center verabschiedete, tat das Patt keinen Abbruch.

Hinter den Wertkauf-Toren zur Warenwelt sah es gegen 10 Uhr, wenn werktäglich die Schlangen schon längst außer Sichtweite der Kassen enden, noch gespenstisch wie an einem Drehort für Zombi-Filme aus. Verwaiste Fleischtresen, im Stich gelassene Wurstwaren, verloren im Sonderangebot herumste- hende Gemüsekonserven, fast menschenleere Regalgänge. Ein

paar Konzessionäre schoben schützend vor Tiernahrungsbeständen und Tabakwaren Wache, während sie sich kopfschüttelnd sich über jeden wunderten, der trotz Streiks auf Einkaufen bestand: „Wir stehen hier auch nur, damit uns die Ware nicht geklaut wird.“ Nur die Herren in den City -Hemden zogen hoch zu Gabelstapler ihre Runden und arbeiteten sich schwitzend und um kundenseitige Nachsicht nachsuchend in die Geheimnisse einer Registrierkasse ein. Mit Pressefritzen mochte keiner reden. Stattdessen drohte Verwaltungsleiter Rademacher, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen, falls in seinem Herrschaftsbereich Kunden und Angestellte mit Fragen zu Streik bzw. Arbeitseifer behelligt würden.

Nach einer Stunde hatten die Streikenden eine geradezu geniale Idee: Sie zogen ab und überließen ihre Führungskräfte den nun ungehindert über ihnen herreinbrechenden Kundenmassen, die zuvor bereits vor Karstadt, Horten, Dyckhoff, Quelle und Obi unverrichteter Dinge abdrehen mußten. Ihre schlechte Laune, wenn sie denn hatten, konnten sie so am ohenhin säuerlichen Häuflein der Wertkauf-Manager ablassen. Die Belegschaft zog derweil Richtung Innenstadt und demonstrierte mit 2.000 weiteren Bremer VerkäuferInnen für Feierabend 18.30 Uhr und dafür, daß einmal unterschriebene Tarifverträge auch für Arbeitgeber gelten.

K.S.