S C H M E R Z L I C H W I L L K O M M E N

Das setzt dem Bären die Betonkrone auf: Einem Umzug von Ost nach West-Berlin steht plötzlich nicht nur die volkseigene Graffitiwand im Wege, sondern eine Menschenmauer aus Bundesbeamten. Macht'n Abflug!, werden seit dem 26.Juni die lieben Brüder und Schwestern begrüßt, die als Verwandte zweiten Grades keinen Aufnahmeanspruch mehr haben sollen. Weiß sich ein derart Deklassierter dreist zu berufen auf sein seit 39 Jahren in Artikel 11 der Berliner Verfassung garantiertes Recht auf Freizügigkeit, insbesondere die freie Wahl des Wohnsitzes, des Berufes und des Arbeitsplatzes egal, die stellvertretenden VolksvertreterInnen in Marienfelde haben eine Weisung ihres Bonner Ministeriums im Aktenordner, auch Ost-Berliner abzuschieben nach Westdeutschland. Wie sich doch die Amtsstuben auf beiden Seiten des Korridors gleichen: Die Gesellschaft eine Warteschlange, der Stempelgewaltige ihr King, sein Signum das Schicksal. Kein Wunder also, wenn die behördemüden Hauptstädter ihren Widerspruch runtergeschluckt und sich nach Tegel kommandieren lassen haben. Oder froh waren, eine Bleibe in ihrer Heimatstadt für die Verzichtserklärung in Sachen Sozialwohnung behalten zu können. Denn längst hatten sie begriffen, daß das Recht auf Arbeit (Art. 12) und auf Wohnraum (Art. 19) in dieser Stadt auch nur auf dem Papier steht. Doch nun hat der Regierende Bürgermeister nach dem einwöchigen Durcheinander der Senatserklärungen endlich ein deutliches Wort gesprochen. Demnach sollen die Auf- und Ab -Schiebungen für Berliner beendet werden - sie dürfen bleiben. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß mit dem jetzt aus der Ablage gekramten Bundesaufnahmegesetz von 1950 der Begriff von der Gleichheit aller Deutschen doppelzüngig interpretiert wird: Natürlich bleiben DDRler deutsch, Bundesbürger aber sind eben noch deutscher. Beifall verdiente diese differenzierende Position, wäre sie Folge der völligen Anerkennung der anderen Republik... endlich würde die wichtigste politische Voraussetzung für den Fall der Mauer erfüllt sein. Denn natürlich kann der deutsch -deutsche Trutzwall, dieses Symbol europäischer Stabilisierung durch Spaltung, nicht wirklich überwunden werden mit der Volkswanderung von Ost nach West. Eine Nation, deren staatliche Einheit mit Blut und Eisen erzwungen und zerstört wurde, sollte ihre gegenwärtige Chance zum neuen Denken und Handeln begreifen. Doch genau diese Hoffnung ist aus der restriktiven Praxis der Bundes und Senatsbehörden gegenüber DDR-Übersiedlern nicht zu schöpfen. Das eine - Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und Wohnungsmisere - nicht leisten zu können, und das andere - Unterzeichnung der zweistaatlichen Realität - nicht zu dürfen, verführt die regierenden West-Politiker dazu, das Mögliche zu tun: sich selbst und die Öffentlichkeit mit der Rettung eines Wales zu trösten, während sie die Ozeane vergiften. Ganz wie mann/frau es aus dem Osten gewohnt ist.

Jan Rymon (seit 15. Juni in West-Berlin)