Swinging Metropolis

■ 34. Delphi, Grüezi wohl

Zweifellos ein entzückendes kleines Kino sowie gelegentliche Räumlichkeit für übergreifende Veranstaltungen ist das Delphi in der Kantstraße. D'accord? Dennoch schade, daß es nicht mehr ist, was es war (nostalgisches Lamento 3.721f); nach Tanzpalästen besteht halt kein gesteigertes Bedürfnis heutzutag. Und schließlich: wer kann schon tanzen? Ich nicht. Angesichts der Tatsache, daß mit traditionsreichen Orten scheinbar eh keiner was Vernünftiges anzufangen weiß, darf man überdies schon dankbar sein, daß da neben dem Theater des Westens nun kein mehrstöckiges kombiniertes Wichs- & Daddelcenter steht. Oder eine Einkaufshölle a la Neue Welt.

Bei aller Liebe aber zu dem, was dort dereinst geschah, in unmittelbarer Nähe hätt ich mein Domizil nicht haben wollen. Zur Sommerszeit nämlich diente die klasse Terrasse als imposantes Schwofplateau; die Musikanten schmetterten unter einem Baldachin in die offene Air. Das mag manch Möbel in der Anwohner guten Stuben vibriert haben. Immerhin, so konnte daran teilhaben, wessen Mittel einen Besuch des Etablissements nicht erlaubten, ließ sich die Chose doch mit hochelitärer Prätention an.

Marmorprunkend aufgemotzt, im Tanzsaal einen Sternenhimmel, eröffnet der sich altgriechisch gebende Bau im Mai 1928. Zum Auftakt spielt eine deutsche Formation, assoziationsfreudig Delphians Jazzband genannt, unter englischer Leitung: Billy Bartholomew heißt der führende Gentleman am Saxophon. Von Anfang an macht sich der superlative Vergnügungstempel einen prima Namen, verpflichtet internationale Spitzenorchester - und steht auch bald offen fürs „Fräulein Niemand und den Herrn Sowieso“, frei nach einem dunnemaligen Schlagertitel. Als Bestandteil der Großveranstaltung „Weltwirtschaftskrise“ senken die Verantwortlichen, Herr Eberlein & Frau Pohl, die Preise; man gibt sich moderat & erschwinglich.

Unter anderem gastiert im jungen Delphi ein Pianist namens Hermann Bick, der als Ben Berlin mit seinem Berliner Orchester tanzmusikalisch Furore macht, jedenfalls bei den, wie heißen sie noch... ajah: Berlinern. Wie so oft, hört man auch hier, die Jungs sollen guter Hotsolistik fähig sein, welche aber stets nur nebenbei im Rahmen der Auftritte zum Tragen kommt. Flotte Zeugnisse der Zeit, sind die erhaltenen Platten dem strammen Jazzfan in der Regel eben doch zu kommerziell. Wers hingegen pseudosinfonisch mag, dem kann der Bicksche Sound im Fahrwasser eines Paul Whiteman viel Freude machen. (Siehe auch Folge 11. Was? Nicht aufbewahrt?)

Bartholomew taucht in den folgenden Jahren immer auf, mit wechselnden Besetzungen, ebenso wie das modische SwingIdol Ernest Henri Stauffer, genannt Teddy. (Unter „Fehlanzeige“ zu verbuchen ist der abschließende Satz eines machtergriffenen Hetzartikels nach '33: „Sie sind gemeint, Herr Theodor Stauffer!“) Bevor das Mokka Efti (City) zu seinem angestammten Auftrittsort wird, gibt im Weimarer Jahr auch James Kok sich hier die Ehre. (Was aus diesem Herrn noch werden sollte, lies nach in Folge 27. Wie, auch die existiert nicht mehr?)

Und mags auch seltsam klingen, die ganz große DelphiZeit beginnt 1936, da die Nazis aus olympiaopportunistischen Gründen ganz furchtbar kosmopolitisieren. Der Laden wird endgültig zur Numero Eins - neben dem Femina in der Nürnberger Straße, das sich mächtig anstrengt, noch prächtiger, noch moderner zu sein. Bereits in Folge... Ach, lassen wir das. Am 16.Oktober 1937 berichtet der Melody Maker vom „Mekka der Berliner Swingfans“, und ein alter Bekannter erklimmt die Bühne. Einer, der nicht nur trompetet & violiniert, der nicht nur - konträr zu den üblicherweise eingedeutschten - englischen Originaltexten singt, nein, darüber hinaus beißt er sich fest und ist nicht mehr rauszukriegen. Er heiratet nämlich die Chefin, heißt Heinz Wehner, und den Delphi Fox komponiert er auch gleich.

Davon schreibt der Melody Maker nichts, aber er erwähnt „a really hot band“ namens Lanigiros. Keine Griechen, trotz „Giros“, sondern Eidgenossen wie der schöne Teddy; ihr Name ist die schlichte Umkehrung von „Original“. Eigentlich & tatsächlich heißen sie ja The Lanigiro Hot Players, früher The Lanigiro Syncopating Melody Kings, aber als das Deutsche Podium nach ihrem Hamburger Auftritt bemerkt: “...der Name Hot Players besagt alles“, lassen sie ihn weg. Zickig werden sie trotzdem nicht, wie folgender Artikel belegt:

Wenn das kein Lob ist. Nichtsdestotrotz bleibt das ihr erster & letzter BerlinAuftritt - den sie übrigens mit deutscher Verstärkung absolvieren, unter anderem ist dabei mal wieder Willy Berking. Zuhause wird die ehemalige Baseler Schülerband dann mit der Sängerin Phyllis Heymann weitermachen und sehr lange erfolgreich bleiben, was vielleicht an der Praxis liegt, die Gage immer gleichmäßig unter den Mitgliedern aufzuteilen - obschon sie nicht so weit gehen, eine GmbH zu gründen wie die ganz großen amerikanischen Kollegen des Casa Loma Orchestras um Glen Gray. Noch heute treffen sich die ExLanigiros Bandini & Dietzi zu gelegentlichen PrivatSessions.

Das alles aber wüßten wir nicht ohne den Hot Club Basel, von einem OriginalLanigiro begründet, und seinem Archiv. Diese Brutstätten internationaler JazzVerständigung gibts in jeder Stadt, freilich, auch in Berlin. Zu gewissen (hirn)rissigen Zeiten an den Rand einer kriminellen Vereinigung gerückt, nannte er sich hier lieber Melodie -Club.

Norbert Tefelski