Gute Reise

■ Warum eine polnische Familie ihre Verwandten in West-Berlin nicht besuchen durfte: Eine Kristallvase und deutsche Zöllner

„Einfach eine Schweinerei“, findet Helga B. das, was unlängst Herrn W., einem polnischen Verwandten, und seiner Frau widerfahren ist. Doch beschweren will sich die junge Frau nicht, das sei doch alles sinnlos. Richtig sei das das Verhalten der Beamten bestimmt nicht gewesen: „Wenn die nicht einmal zwischen Händlern und Leuten unterscheiden können, die hier wirklich nur jemand besuchen wollen!“

Auch an diesem Freitag im Juli wollte Herr W. wieder einmal seine deutschen Freunde besuchen. Besuche zwischen beiden Familien finden schon seit mehreren Jahren reglmäßig statt. Im Gepäck mit dabei: ein Geburtstagsgeschenk aus Kristall für Helgas sechzigjährige Mutter. Doch das Geschenk kam nie an. Durch einen pflichtbewußten Zöllner wurde das Stück Kristall an der Grenzstelle Dreilinden nämlich als Handelsware identifiziert und Herrn W. daraufhin die Einreise verweigert. Auch der Hinweis auf die Einladung von Helga B. konnte die Urteilskraft des bundesdeutschen Beamten nicht erschüttern. Auch deponiert werden konnte die Vase beim Zoll nicht. Herr W. müsse zurückfahren und das Kristallgut beim DDR-Zoll hinterlegen. Um seine Freunde von der voraussichtlichen Verspätung zu informieren, bat Herr W. nun höflich darum, die direkt hinter der Zollabfertigungsanlage befindliche Telefonzelle benutzen zu dürfen. Auch dies wurde ihm - Ordnung muß schließlich sein nicht gestattet, so daß Helga B. den ganzen Abend umsonst warten mußte. Den Worten des Zollbeamten folgend, wurde also gewendet und der DDR-Zoll aufgesucht. Dort fühlte man sich jedoch leicht auf den Arm genommen: Dies sei die Transitstrecke, auf der man nicht beliebig hin- und herfahren könne. Nach der Androhung einer Strafe von 10.000 Mark wegen Transitvergehens blieb den polnischen Besuchern nur noch die Rückreise. Fazit: „Die trauen sich jetzt gar nicht mehr, hierher zu kommen“, sagt Helga B. traurig.

-guth