Eichel: „Herz über die Hürde werfen“

Auf dem Parteitag der hessischen SPD wurde der Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel zum Parteivorsitzenden sowie zum Spitzenkandidaten der Landtagswahlen 1991 gewählt / Der OB der ersten rot-grünen Koalition ruft seine Partei zur Geschlossenheit auf  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Alsfeld (taz) - Mit stehenden Ovationen feierten die 234 Delegierten des Landesparteitags der hessischen SPD am Sonnabend in Alsfeld ihren neuen Hoffnungsträger: Mehr als 90 Prozent der abgegebenen Stimmen hatte der einzige Kandidat für das Amt des Landesvorsitzenden und in Personalunion auch des Spitzenkandidaten für die nächsten Landtagswahlen, der Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel (47), in getrennten Wahlgängen auf sich vereinigen können.

Zu den ersten Gratulanten in der vollbesetzten Stadthalle zählte der Mann, der Eichel wochenlang auf diversen Bezirks und Unterbezirksversammlungen Paroli geboten hatte, weil er selbst gerne Vorsitzender der hessischen SPD geworden wäre: Der Wiesbadener Oberbürgermeister Achim Exner, der die ehemalige hessische Ministerin und derzeitige Bremer Senatorin Vera Rüdiger zur Spitzenkandidatin und Anwärterin auf das Ministerpräsidentenamt hatte küren wollen, überreichte Hans Eichel ein blaues Oberhemd und eine rote Krawatte - „damit in Zukunft keiner mehr sagen kann, der Mann sei farblos“ (Exner). In Alsfeld trat das „Traumduo“ Exner/Rüdiger nach eindeutigen Abstimmungsniederlagen auf den Bezirksparteitagen Hessen-Süd und Hessen-Nord nicht mehr gegen Eichel an.

Hans Eichel, der die Partei in pragmatischer Rede dazu aufforderte, das „Herz über die Hürde“ zu werfen und die innerparteilichen Streitigkeiten zwischen den Bezirken, zwischen den Linken und Rechten und zwischen Basis und Parteiführung umgehend zu beenden, wertete die Konkurrenzkandidatur von Exner/Rüdiger als „für die Partei belebend und erfrischend“. Nur so habe er die Chance gehabt, sich in den Bezirken und Unterbezirken vorzustellen und für seine Person zu werben. Auch Eichel hatte ein Geschenk in der Tasche: Vera Rüdiger und Achim Exner werden demnächst gemeinsam Pünktchen und Anton lesen dürfen.

Noch vor den Wahlgängen hatte Eichel in seiner Vorstellungsrede keinen Zweifel daran gelassen, daß er eindeutiger als seine Vorgänger Börner und Krollmann - den „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ als seine „primäre Aufgabe“ betrachte. Hessen müsse unter sozialdemokratischer Regie „ökologische Musterregion Europas“ werden. Der Mann, der als erster Oberbürgermeister der Republik in Kassel schon 1981 eine Koalition mit den Grünen einging, kündigte auch die paritätische Besetzung des zukünfigen Kabinetts Eichel mit Frauen und Männern an falls die WählerInnen in Hessen die „abgehalfterte Regierung Wallmann“ (Eichel) 1991 tatsächlich abwählen sollten.

Die von Eichel und auch von Volker Hauff geforderte „Aufbruchstimmung für eine ökologische und freiheitliche Erneuerung“ nicht nur der Partei war in Alsfeld erstmals seit dem Verlust der Regierungsmacht 1987 bei den hessischen Sozialdemokraten wieder „spürbar“. Mit einer „Mischung aus Selbstkritik und Selbstbewußtsein“ (Hauff) will die SPD verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und an einer „Aufbruchstimmung wie 68“ (Hauff) arbeiten, nicht zuletzt um die „rechtsradiaklen Rattenfänger“ (Eichel) stimmungspolitisch zu schlagen.

In Sachen „Selbstkritik“ hatte der scheidende Landesvorsitzende Hans Krollmann zuvor bittere Pillen nicht zuletzt an sich selbst verteilt. Für ein paar hundert Arbeitsplätze bei Nukem habe man seinerzeit eine Koalition geopfert. Die SPD sei offensichtlich 1987 noch nicht reif für die wichtigsten Teile der sozial-ökologischen Politik gewesen, meinte Krollmann unter dem Beifall nicht mehr nur der Linken in der Partei. Seinem Nachfolger im Amt gab Krollmann, der sich zur Überraschung des Auditoriums einen „Sozialisten ohne jeden Zusatz“ nannte, einen praktischen Ratschlag mit auf den Weg: „Wer den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, der muß sich entgegenhalten lassen, daß jede Fristensetzung unsinnig ist. Es ist ein Gebot der Vernunft, die am schlechtesten gesicherten Blöcke zu schließen. Das gilt für Biblis A wie für Würgassen.“ Kommentar des grünen Beobachters Jürgen Engel (Ex-MdL) auf dem Parteitag: „Wär‘ ihm das nur mal drei Jahre früher eingefallen.“