„Überhaupt nichts im Kopf, aber Muskeln ...“

■ Frauen haben die Nase voll von der „Männerkriegsanordnung“ auf Demonstrationen und stellen sich gewaltbereiten Demonstranten entgegen

Die Bilder hatten wahrlich Seltenswert: Mitglieder des autonomen Blocks - auch „Haßkappenfraktion“ genannt verlieren Teile ihrer Demonstrationsausrüstung. Nicht etwa an die Gegenfraktion in Gestalt behelmter Polizeibeamter, sondern an friedliche Demonstrant Innen, die plötzlich so friedlich nicht mehr waren. Weil sie „diese unglaubliche Dummheit der Militanten so geärgert hatte“, nahmen zwei demonstrantinnen mehrere selbsternannte Antifa-Kämpfer ins Gebet, die gerade Pflastersteine aus dem Boden kratzten. Andere schnappten den Vermummten letzten Samstag die Schlagstöcke weg oder versuchten sie lautstark an der vorprogrammierten Prügelei mit den Bullen zu hindern. „Diese Randale kommt mit der Berechenbarkeit einer Weckuhr“, schimpfte eine Demonstrantin, die mehrmals mit anderen Frauen zu intervenieren versucht hatte. Die Bereitschaft gerade von Frauen, die vorprogrammierte Randale dieses Mal nicht einfach hinzunehmen, überraschte sie selbst ein wenig. „Auf den diversen Vollversammlungen gab es immer schon mal Frauen, die sich kritisch zu militanten Strategien geäußert haben, aber daß sie sich jetzt auch richtig einmischen, ist eher neu.“

Gertrud, selbst ausreichend demo-erfahren, sah ihre soziologischen Beobachtungen auch am letzten Samstag bestätigt. „Im Grunde ist das ein identisches Auftreten bei den Bullen wie bei den Autonomen - die Großen vorne, die Kleinen hinten und alle reagieren auf Pfiff. Die Aotonomen haben ihren a Aufmarsch genauso gut eingeübt, wie die Bullen ihre Schildkrötenformationen. Das ist auf beiden Seiten das gleiche Ritual.“ Ein Ritual, von dem sie längst genug hat. Ihre massive Kritik an den Ausschreitungen am 1. Mai, die sie auch öffentlich äußerte, setzte sie sich jedoch massiver Anmache und auch Drohungen seitens autonomer Männer aus, die sich in ihrem Sexismus kaum vom Durchschnittsmann unterscheiden. Für sie und ihre Mitbewohnerinnen in einem ehemals besetzten Haus in kreuzberg ist spätestens seit dem 1. Mai klar, sich in Zukunft gegen Randale dieser Art zu wehren. „Frauen sind auf jeden Fall eher bereit, sich dazwischenzustellen und sich einzumischen“, sagt sie überzeugt, wobei wohl weniger der friedfertige weibliche Charakter eine Rolle spielt, als die Empörung über die Blödheit vieler sogenannter Autonomer. „Überhaupt nichts im Kopf, aber Muskeln. Manche schalten bei solchen Demos oder Aktionen einfach das Hirn aus.“ Die Bezeichnung „autonom“ will sie ihnen dabei gar nicht mehr zugestehen, denn „die haben gar keine Vorstellung von Selbstorganisation oder lebensplanung mehr.“

Susanne, ehemals autonome Sanitäterin und Hausbesetzerin, hat sich in der letzten Zeit von solchen Demonstrationen eher ferngehalten. „Früher war es meist so, daß man gezielt provoziert worden ist, heute ist das eine Spielwiese für Randale.“ Auch sie hat auf mehrerern Demos versucht, zu intervenieren, weil sie einfach „sauer“ war. Sie traut Frauen dabei in solchen Situationen mehr Selbständigkeit zu und mehr Zivilcourage, sich einzumischen. Ganz offensichtlich tragen Männer, die sich Autonomen entgegenstellen, ein größeres Risiko.

Der Verlust des Feindbildes vom „Schweinebullen“ ist nach Gertruds Ansicht für viele Autonome kaum zu verkraften; man reagiert aggressiv auf Kritik an der eigenen Militanz. „Wenn du hier das Maul aufmachst gegen diese ganze militante Scheiße, dann siehst du alt aus.“ Die Sprachlosigkeit der verschioednen Gruppen im Kiez untereinander sei mittlerweile nicht mehr zu überbrücken. „In Zukunft wird das Problem der Gewalt auch nicht mehr so sehr zwischen Polizei und Autonomen ausgetragen, sondern unter den Demonstranten selber.“

anb