Auf Kosten der Schwächsten

■ Proteste in der Kinderklinik Wedding gegen die Verlagerung der Chroniker-Abteilung aus dem Universitätsklinikum Virchow Die Umbauarbeiten werden durchgeführt, während Kinder und Alte anwesend sind / Heute findet ein „Tag der offenen Tür“ statt

Der Junge windet sich, während ihm die Schwester einen winzigen Absaugschlauch durch die Nase schiebt. Nur das monotone Pumpen des Beatmungsgeräts ist zu hören, während die Schwester dem Säugling beruhigend über den Bauch streicht. Stille ist lebensnotwendig für den eineinhalbjährigen Jungen, jedes laute Geräusch treibt den Kohlendioxidgehalt seines Blutes lebensgefährlich in die Höhe.

Der Junge liegt im dritten Stock der Kinderklinik Wedding an der Reinickendorfer Straße. Direkt über ihm, auf Station 4, werden demnächst Vorschlaghammer und Bohrmaschinen lärmen. Um die bisherige Kinderstation für chronisch-kranke Erwachsene umzurüsten, die aus dem Virchow-Krankenhaus hierher verlagert werden, bedarf es umfangreicher Umbaumaßnahmen. Die Toilettentüren sind für Rollstühle zu schmal, die Toilettenbecken selbst sind so niedrig, „daß kein alter Mensch von alleine wieder hochkommt“, wie eine Schwester versichert. Die Badewannen sind nur von einer Seite her zugänglich und müssen völlig erneuert werden. Fäkalienspülen gibt es bisher nicht.

„Hier entsteht dann genau der Lärm und Schmutz, der den Kranken durch die Räumung des chirurgischen Bettenhauses im Virchow erspart werden sollte - auf Kosten der Schwächsten, der Alten und der Kinder“, schimpft Kinderarzt Christoph Möllering. Noch in dieser Woche, so ordnete es Verwaltungsleiter Heini Neher an, muß die Station mit bislang 30 Kindern geräumt werden, um 28 Chronikern aus dem Uniklinikum Platz zu machen (die taz berichtete). Auch das für den Norden Berlins einmalige „Rooming-in“ - Eltern übernachten bei ihren Kindern - fällt dieser Maßnahme zum Opfer. „Schrecklich“ sei es, meint eine Mutter, wenn diese „optimale“ Einrichtung, die für die Schwestern eine enorme Entlastung bedeutet, wegfiele.

Gestern übergaben Eltern und Beschäftigte Bezirksbürgermeister Jörg-Otto Spiller (SPD) 4.600 Unterschriften für den Erhalt der Kinderstation 4. Könnten die Chroniker noch eine Weile im Haupthaus im Virchow bleiben, „könnte man vielleicht eine andere Möglichkeit finden“, meint auch Spiller. Alternativen sind jedoch durch die verordnete schnelle Räumung des chirurgischen Bettenhauses der Weg versperrt: Der Antrag von Hilde Schramm (AL), die Schließung um drei Monate hinauszuzögern, wurde in der vergangenen Woche vom Errichtungskuratorium abgelehnt. Folgerichtig sieht Verwaltungsleiter Neher „keine Möglichkeit, andere Lösungen zu suchen“. Daß die Bauarbeiten durchgeführt werden, während die alten Menschen bereits anwesend sind, sieht Neher nicht an. Die Umbauten auf Station 4 seien „relativ geräuscharm“. 90 Prozent der Chroniker „können sowieso nicht aufstehen“ - und bräuchten somit auch keine Toiletten, sieht Neher auch ein anderes Problem gelöst.

Die Beschäftigten auf Station 4 wollen ihre Abteilung jedoch auch weiterhin nicht räumen. Für die Chroniker, die hier im wahrsten Sinne des Wortes ständig „verschoben“ werden - sie mußten 1988 bereits zweimal umziehen - schlagen Schwestern und Ärzte der Kinderklinik deshalb eine andere, möglicherweise dauerhafte Lösung vor: das seit 1981 ungenutzte Geburtshilfe-Haus auf dem Kinderklinikgelände. Um der Bevölkerung „vor Ort“ die Situation zu verdeutlichen, veranstalten sie morgen in der Reinickendorfer Straße einen „Tag der offenen Tür“.

Martina Habersetzer