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Radikale Position

Schleswig-Holsteins SPD-Frauen wollen Verbot der pränatalen Genomanalyse  ■ K O M M E N T A R

Mit ihrem Antrag auf Verbot von pränatalen genetischen Untersuchungen sind die schleswig-holsteinischen SPD-Frauen in einer sehr heiklen Diskussion weit vorgeprescht. Fakt ist: Pränatale Untersuchungen wie die Fruchtwasseranalyse (Amniocentese) werden von immer mehr schwangeren Frauen in Anspruch genommen, um das Risiko eines behinderten Kindes „frühzeitig“ auszuloten. „Spätgebärenden“ wird diese Art der Schwangerschaftsvorsorge von ÄrztInnen geradezu aufgedrängt. Weniger bekannt ist, daß diese Untersuchungen für den Fötus gefährlich sein können und genetische Abweichungen und Schäden nur bedingt feststellbar sind. Außerdem geht nur ein ganz geringer Prozentsatz von Behinderungen auf genetische Ursachen zurück. Die meisten beruhen auf Krankheiten der Mutter während der Schwangerschaft, auf Medikamenten- und Drogeneinnahme, auf Umweltbelastungen, Problemen und Fehlern während der Geburt.

Radikale KritikerInnen der Humangenetik, Krüppelgruppen und feministische Kreise warnen seit Jahren vor einer neuen Eugenik, der die modernen Techniken Vorschub leisten. Frauen (und Paare) werden in zunehmendem Maße verantwortlich gemacht für die Qualität ihres Nachwuchses. Wer aber bestimmt die Normen für „gesund“ und „krank“, für „lebenswert“ und „lebensunwert“? Was heute als „leichte“ Behinderung oder Abweichung akzeptiert wird, kann in einer Gesellschaft, die mehr und mehr auf Perfektion und Funktionalität setzt, morgen schon zur untragbaren Belastung werden. Soziale „Kosten-Nutzenrechnungen“ werden heute bereits wieder betrieben. Was Schwangeren heute noch als freiwillige Beratungshilfe angeboten wird, kann morgen schon zum Zwang zum „gesunden“ Kind werden. US-amerikanische Gerichte weisen bereits die Richtung mit einem „Recht des Kindes“, körperlich und geistig gesund zur Welt zu kommen. Mütter werden aufgrund ihres „wrongful life“ zur Rechenschaft gezogen. Auch bei uns steht der Schutz des Embryo inzwischen über dem Interesse der Mutter.

Die schleswig-holsteinischen SPD-Frauen haben sich den radikalen Positionen der Humangenetik-GegnerInnen angschlossen. Das ist begrüßenswert. Die notwendige Auseinandersetzung über diese Thematik erhält dadurch neuen Zündstoff, die Diskussion wird verbreitert. Dennoch ist ein generelles Verbot der pränatalen Genom-Analyse sehr problematisch. Die Ängste der Frauen vor einem behinderten Kind sind da, ob sie nun künstlich geschürt wurden oder nicht. Sie können nicht einfach mit dem Argument des „falschen“ Bewußtseins unter den Tisch gekehrt werden. Das würde bedeuten, die Frauen nicht ernst zu nehmen. Ein behindertes Kind in dieser Gesellschaft aufzuziehen, ist eine Belastung, die erfahrungsgemäß meistens an den Müttern hängenbleibt.

Frauen kämpfen seit langem um mehr Selbstbestimmungsrecht, um mehr „eigenes Leben“. Wenn sie nun einsehen sollen, daß sie zwar ein Recht haben, zu entscheiden, ob sie ein Kind wollen oder nicht, kein Recht allerdings darauf haben, ob dieses Kind behindert oder gesund zur Welt kommt, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die es Frauen ermöglichen, im Hier und Jetzt tatsächlich ein behindertes Kind aufzuziehen. Appelle an die Ethik helfen da wenig. Sonst lassen die Frauen eben heimlich die Untersuchungen bei Privatärzten machen, illegal und womöglich unter noch größeren gesundheitlichen Risiken. Die Erfahrungen mit der Abtreibung sollten lehren, was für Folgen Verbote haben können.

Ulrike Helwerth

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