Eine kleine Nische fürs Subjektive

■ Der Dokumentarfilm erhält festen Sendeplatz im Ersten / Zum Auftakt ein Film über Leben und Tod Roger Bornemanns - Tod eines Skinheads, 23 Uhr, ARD

Die ARD richtet einer im Fernsehen mehr und mehr aussterbenden Filmgattung eine kleine Nische ein. Von heute an sollen einmal im Monat jeweils dienstags ausgewählte Dokumentarfilme gezeigt werden, und zwar solche, die auf den Festivals in Oberhausen oder Leipzig für Aufsehen sorgen, die den Weg in die Funkhäuser aber nicht finden, weil sie an der öffentlich-rechtlichen Ausgewogenheitshürde scheitern.

Die geplante Reihe, die vom Südwestfunk betreut wird, sollte ursprünglich unter dem Stichwort „Autorenfilm“ laufen, da die Verantwortlichen das für eine treffliche Vokabel halten, um dem Publikum von vornherein deutlich zu machen, daß es sich hier um völlig subjektive und somit nach öffentlich-rechtlichem Verständnis um „unjournalistische“ Filme handelt. Da der Autorenfilm-Begriff - eine ohnehin arg gebeutelte Worthülse - aber auch das ganze Spielfilmgenre mitbeschreibt, ist die ARD letztendlich bei dem schlichten Kennwort „Dokumentarfilm“ geblieben.

Nun läßt sich trefflich darüber streiten, welches Journalismus-Verständnis in den Sendeanstalten herrschen muß, wenn engagierte Reportagen, die eine eindeutige Position beziehen, als unjounalistisch gelten. Unlängst fiel beim NDR Claus Strigels und Bertram Verhaags überzeugende Wackersdorf-Dokumentation Spaltprozesse diesem hasenfüßigen Objektivitätsdenken zum Opfer (s. taz vom 31.5. 89). Vielleicht findet der abgesetzte Beitrag ja jetzt in der neuen Reihe einen Platz.

Nun wollen wir die guten Absichten der ARD nicht von vornherein in Abrede stellen. Ein kleines Plätzchen für den Dokumentarfilm ist besser als gar keines. Allerdings hätte die Reihe, wenn sich damit „die Einlösung des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ vollziehen soll, einen besseren Sendeplatz verdient. Spätabends um 23 Uhr erreicht sie bestenfalls zwei bis drei Prozent der Zuschauer, vorausgesetzt im Zweiten läuft kein atraktiverer Spielfilm.

Für die Reihe vorgesehen sind bisher Dokumentarfilme von Hartmut Schoen, Thomas Schadt, Roland Schraut, Bernd Mosblech, Peter Nestler und Peter Heller. Die Themen reichen von einer Reportage über amerikanische „Hobos“, Heavy-Metal -Bands, Umweltzerstörung und Pornographie.

Den Auftakt macht heute Andrea Morgenthalers Dokumentation des Todes von Roger Bornemann, eines jugendlichen Skinheads aus Hannover, der wahrscheinlich einem Fememord zum Opfer fiel. In der Nacht zum 2. Februar 1987 wurde Bornemann auf brutalste Weise zu Tode geprügelt. Er war 17 Jahre alt, Skinhead und Mitglied in der rechtsradikalen Partei FAP. Seine vier Mörder stammen aller Wahrscheinlichkeit nach aus seinem Freundeskreis, sind ebenfalls Skins. Kurz vor seinem Tod wollte er aus der Fascho-Szene aussteigen und machte umfassende Aussagen bei der Polizei. Drei Tage später war er tot.

Obwohl der Film die neueste Entwicklung im Bornemann-Fall nicht dokumentiert - ein türkischer Strafgefangener hat ein Geständnis über die Tat abgelegt, dessen Glaubwürdigkeit allerdings angezweifelt wird -, ist er gerade jetzt im Zuge sich verschärfender rechtsextremistischer Tendenzen ein mahnendes Dokument. utho