Triumphator und Dozent

Becker: Mit dem Doppelsieg von Wimbledon muß das deutsche Volk erst umgehen lernen Das Finale gegen Stefan Edberg gewinnt er flugs 6:0, 7:6, 6:4, rotzend, keuchend, schnaubend  ■  Aus Wimbledon B. Müllender

Es war einmal ein stämmiger junger Mann in weißem Gewande und ein noch etwas jüngeres deutsches Fräulein in ebenso engelsgleicher, unschuldiger Tracht mit dem wallenden blonden Haar einer Prinzessin, und sie zogen hinaus aus deutschen Landen in die Finsternis der weiten Welt, um kleine gelbe Bälle über viel zu hohe Hindernisse zu schlagen, und ...und jetzt ist es Wirklichkeit geworden.

Keine drei Stunden nach Steffi Grafs erwartetem Sieg war Boris Becker fertig mit Stefan Edberg. 6:0 und 7:6 und 6:4, und der Super-Gau (unser täglicher Beitrag zur Verharmlosung der deutschen Sprache, d.Korr.in) für den deutschen Tennissport mit noch nicht übersehbaren nationalen Glücksgefühlen war perfekt: Beide hatten tatsächlich das Tennisturnier aller Tennisturniere gewonnen, und dank der weisen Voraussicht des königlich-britischen Wettergottes auch noch an einem Tag.

Die Neuauflage des Vorjahrsfinales (3:2 für Edberg) war gerade 23Minuten alt, da hatte Becker den ersten Satz schon 6:0 gewonnen. Alles gelang ihm, nichts dem Schweden. Gegen Ende des zweiten Satzes schien das Match zu kippen: Mit einer Serie feinster Passierschläge nahm Edberg dem deutschen Kraftpaket den Aufschlag ab, und hatte bald darauf zwei Satzbälle. Ohne Erfolg, Becker breakte re, und fegte den schwedischen Titelverteidiger im Tiebreak 7:1 vom Court.

Edbergs Volleys, sonst die Spezialität seiner vielen eleganten Spe-zialitäten, finden mit deprimierender Regelmäßigkeit das Netz oder fliegen so offensichtlich weit ins Aus, daß die LinienrichteInnen gar nicht da zu sein brauchten.

Edberg nahm sein schwaches Spiel mit der üblichen stoischen Leidensmine: Wenn er immer als bester Kühlschrank galt, der je Tennis spielte, präsentierte er sich jetzt als die beste Tiefkühltruhe, die je als Kühlschrank Wimbledon-Sieger geworden war. Währenddessen, zu Beginn des dritten Satzes, hatte Becker mit einer neuen Unart begonnen, nachdem er im Halbfinale mit Ivan Lendl einmal vor der hochheiligen Königsloge respektlos mit offener Hose entlangspaziert war: Der Leimener keuchte und rotzte und schnaufte und schnaubte vor seinen Aufschlägen lautstark wie eine Dampflok. Edberg muß dies als schwächende Erkältung interpretiert haben, sah seine Chance, hatte im zweiten Spiel drei Breakbälle, und wieder wußte er sie nicht zu nutzen.

Beckers Schnauferln wurde wüster, aber diesmal hatte er den drei Breakpunkte bei 4:4, zwei wehrte Edberg ab, und dann wiederholte er Ivan Lendls Fehler aus dem Halbfinale: Er machte einen Doppelfehler zum dümmsten Zeitpunkt. Nach gerade zwei Stunden und zwölf Minuten war alles vorbei, und selbst der (wegen T?) gleich neben der taz plazierte Ion Tiriac, sonst immer emotionsfrei hinter seinem mächtigen Oberlippengezwirbel, riß im diesem millionenschweren Moment die Faust in die Luft und brachte mehrfach seine kräftigen Pranken gegeneinander. Mit einem herzlichen „Well done, Boris“ gratulierte er seinem siegreich gemanageten Schützling hernach als erster.

Das Spiel hatte Boris Becker bei weitem nicht alle Kräfte genommen. Nachdem er die herzöglichen Huldigungen überstanden hatte, begab er sich auf die obligate, dem Ambiente entsprechende geschrittene Ehrenrunde und riß dabei dem häßlichsten Pokal, seit es Pokale gibt, den Deckel ab, der scheppernd zu Rasen krachte. Darauf trug er ihn halt zweiteilig durchs Rund, was man auf den Rängen so schlecht auch nicht fand (Wäre doch prima als Spucknapf zu benutzen - kchorrrr, pffffdd, d.S.).

Nachher wußte Edberg reichlich Erhellendes mitzuteilen. Er sei es selbst gewesen, der durch sein schwaches und dummes Spiel Becker stark gemacht habe, und man erfuhr, daß die Herzogin ihm tröstend mitzuteilen gewußt hätte: So sei halt das Leben, der eine gewinne halt, und der andere verliere.

Wie anders unser Märchenprinz aus dem Badischen: Er ließ vor der internationalen Presse sein Leben Revue passieren und dozierte wie ein weiser alter Staatsattache nach einem langem Leben in der Fremde: Ja, sprach der Boris '89, als er noch ein kleiner Boris gewesen war, mit neun Lenzen, da habe er mit der noch kleineren Steffi schon so viele Turniere gespielt, ein gemeinsamer Weg habe sich abgezeichnet, wo doch Leimen nur zehn Kilometer von Brühl entfernt liege, und eigentlich, aus der heutigen Sicht, sei das doch alles „ein Wunder, ein Märchen, ein Traum“.

Jetzt als Mann sei er „viel stolzer“ über den Wimbledon -Sieg, als zu Spätkindszeiten 85/86, als er noch gar nicht ermessen konnte, was das in Wahrheit bedeute. „Nicht alles ist Sonnenschein“, habe er gelernt, und manchmal im Leben müsse man halt „tief graben, um eine Antwort zu finden.“ So sei er „viel härter“ geworden, und deshalb „nicht mehr so taumelnd glücklich“ wie damals, als er erstmals den Sieg von Wimbledon („mit meinen Spielsachen“) erschlagen habe. Sein Spielzeug vom Sonntag, das er im Übermut in die Menschenmenge geworfen habe, sei wirklich weg, halt nunmehr „vom Winde verweht“. Und als Empfehlung an die TennisfreundInnen zu Hause meinte er weitsichtig: „Die Menschen in meinem Land werden erst ermessen können, was hier passiert ist, wenn wir beide (Steffi und er) Großvater und Großmutter sind.“

So sprach er, unser Champion, und sein Tennispräsident Claus Stauder sekundierte: „Wenn ich mir vor fünf Jahren einen Traum ausgedacht hätte, der nie in Erfüllung geht, wäre es dieser gewesen.“

Es war einmal...