Mit dem Flieger ins politische Sommerloch

Das politische Sommerloch in Hessen ist verhindert: Krach im Landtag um eine ominöse „Chef-Genehmigung“ für einen Privatflugplatz SPD wirft Ministerpräsident Wallmann „bewußten schweren Rechtsbruch“ vor / Erhebliche Einwände der Landschaftsplaner  ■  Von Michael Blum

Frankfurt/Wiesbaden/Birstein (taz) - „Bewußten schweren Rechtsbruch“ wirft der SPD-Fraktionschef im Hessischen Landtag, Ernst Welteke, Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) vor. Anlaß ist die „persönliche dringende Empfehlung des Ministerpräsidenten, trotz entgegenstehender Rechtslage“ dem Unternehmer Siegfried Theimer im Vogelsberg-Ort Birstein -Obersotzbach den Bau eines Privat-Flugplatzes in direkter Nähe seiner Fabrik zu erlauben.

Birstein-Obersotzbach im Vogelsberg ist eine Fremdenverkehrsgemeinde. Wie überall in der Region gingen in den letzten Jahren auch hier zahlreiche Arbeitsplätze verloren: Allein 300 in der 6.000 Seelen-Gemeinde Birstein. Einer der wenigen Firmen, die expandierten, ist der Grafik -Geräte-Hersteller Siegfried Theimer in Birstein -Obersotzbach. Seine Belegschaft hat sich seit Ende der siebziger Jahre auf heute 400 Mitarbeiter verdoppelt. Das international verzweigte Unternehmen benötigt - nach Meinung von Firmenchef Theimer - zur Sicherung der Marktposition und für den schnellen Einsatz des Kundendienstes eine eigene 500 -Meter-Betonpiste für das firmeneigene Flugzeug. Der vorgegebene Standortnachteil im Vogelsberg soll so ausgeglichen werden. Die Maschine wird - geht es nach Theimer und Wallmann - direkt neben dem Unternehmen im Landschaftsschutzgebiet starten und landen. Derzeit steht der Firmenjet auf dem eineinhalb Autostunden entfernten Privatflughafen Egelsbach.

Der Streit um die Privatpiste ist zehn Jahre alt. Bislang fand der Unternehmer für seine Flugplatzpläne im Landschaftsschutzgebiet und Vorranggebiet für Wasserwirtschaft - die Stadt Frankfurt pumpt von dort einen Teil ihres Trinkwassers ab - nur vor Ort Unterstützung. Das Umweltministerium versagte 1981 die Pistenträume Theimers. Mit der hessischen Wende 1987 wendete sich auch das Blatt für den Fabrikant: CDU und FDP hatten stets signalisiert, die Pläne zu realisieren. Im Vertrauen auf die schwarz -gelben Versprechungen schaffte Theimer derweil die Sachzwänge: Mit einem Millionen-schweren Inverstitionsprogramm holte er ausgelagerte Produktionsbereiche ins Stammwerk.

Trotz der Bedenken, auf die der Regierungspräsident Darmstadt und die Ministerien für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz sowie des Inneren mehrfach hingewiesen hatten, ist der Regierungspräsident jetzt angewiesen worden, das Genehmigungsverfahren in Gang zu setzen. Welteke: „Das Verhalten des Ministerpräsidenten ist ein rechtspolitischer und umweltpolitischer Skandal.“ Mit der Chefsache habe Wallmann die Bedenken des Regierungspäsidenten vollends ignoriert. In seiner Stellungsnahme vom 24.Januar 1989 urteilte der RP: „Abschließend ist zu sagen, daß aus der Sicht der Regionalplanung, des Natur- und Landschaftsschutzes, der Bauleitung und des Flugverkehrs, wie erläutert, erhebliche und grundsätzliche Bedenken gegen den geplanten Sonderlandeplatz bestehen.“ Nach Weltekes Informationen hat Wallmann zur Durchsetzung des umstrittenen Projekts „ein Geheimtreffen der Kabinettsmitglieder abgehalten und die Fachminister auf Linie gebracht“. Nach einem ebenfalls dem SPD-Fraktionschef vorliegenden Vermerk des Innenministeriums hatte dieses erhebliche Zweifel an der Durchführbarkeit des Projekts „entgegen gültigem Recht“ angemeldet. Und weiter: „In dieser Sache wird vorgeschlagen, Herrn MP Dr.Wallmann über die Sach- und Rechtslage zu informieren und dabei anzuregen, daß mit dem Antragsteller mit dem Ziel Kontakt aufgenommen wird, diesen zur Rücknahme seines Antrages zu verlassen.“ Die Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Irmgard Reichhardt, wurde in ihrer Stellungsnahme vom 24.Mai 1989 noch deutlicher: „Die von der Fa.Theimer behauptete Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit ist durch die in den letzten Jahren ohne den Landeplatz offenbar sehr erfolgreiche Geschäftsentwicklung nicht zwingend belegt.“ Im Falle einer Klage der Naturschutzverbände, Grundbesitzern oder anderen Betroffenen gegen die Sondergenehmigung sei es der Ministerin zufolge fraglich, ob die Genehmigung überhaupt einer gerichtlichen Überprüfung standhalte. Soweit die fachrechtliche Zuständigkeit des Ministeriums berührt würde, sei eine Genemigungsfähigkeit des Vorhabens eigentlich nicht gegeben. Welteke: „Dieses Schreiben eines Kabinettsmitglied an den in der Sache dringend interessierten Ministerpräsidenten ist ein beeindruckendes Dokument. Da meldet jemand Vollzug und gesteht zugleich ungeschminkt ein, daß die „Bitte des Ministerpräsidenten nur erfüllt werden kann, indem das Recht gebrochen werden kann“. CDU-Landtagsfraktion und Hessische Staatskanzlei weisen die Vorwürfe entschieden zurück: Das Vorhaben stände im Einklang mit gesetzlichen Regelungen, zudem mache die Sicherung der Arbeitsplätze das Projekt notwendig. Aus Kreisen des nahegelegenen Aero-Clubs Gelnhausen war ein weiteres, potentielles Motiv für die Privatpiste zu erfahren: „Theimers Sohn, ein begeisterter Hobby-Flieger, kann mit seiner Maschine wegen deren Größe nicht mehr in Gelnhausen starten und landen!“