An der Schwelle zum Ökokolonialismus

Podiumsdiskussion im Berliner „Haus der Weltkulturen“, der früheren Kongreßhalle. Der Filmemacher Rüdiger Nehberg und die Ethnologin Pierrette Ziegler-Birraux sind gerade damit fertig, den drohenden Völkermord an dem Amazonienvolk der Yanomani in erschütternden Worten zu schildern. Da tritt ein blonder junger Mann mit hellblauem Stirnband vor das Mikrophon, das die Veranstalter zwischen die Zuhörer plaziert haben. Er wolle fragen, ob nicht einfach fünfzig UNO-Friedenssoldaten zum Schutz der Yanomani nach Brasilien geschickt werden könnten. Dann wird der in abgehackten Sätzen sprechende Jüngling plötzlich doch noch nachdenklich: Die 60.000 Goldsucher, die die Yanomani bedrängen, seien ja schließlich bewaffnet. „Wenn von denen jeder dritte eine Knarre hat, dann bräuchten wir wie viele UNO-Soldaten?“

Das sei typisch für europäische Vorschläge zum Amazonasproblem, meint danach erbost Argemiro Procopio, ein brasilianischer Sozialwissenschaftler, der auch die Interessen der verarmten Goldsucher verteidigen möchte. Sicher, der Redner sei bestimmt ein Verrückter gewesen, aber: „Sagen nicht die Verrückten das, was die anderen denken?“ Procopio ist wütend: „Die Europäer sind in viel stärkerem Ausmaß an der Umweltzerstörung schuldig als wir Südamerikaner.“

Gut, daß der bärtige Brasilianer nicht einen Tag später wieder im Vortragssaal erschien. Denn bei der nächsten Podiumsdiskussion („Brauchen wir Tropenholz?“) redeten sowohl die ganz alternativen Ökospezialisten als auch die sehr geschäftstüchtigen Holzhändler so daher, daß selbst europaerfahrenen Lateinamerikanern die Haare zu Berge standen. „Ich habe die Leute doch selber ausgebildet, ich weiß, daß nicht jeder Holzfäller zerstörerisch ist“, meinte selbstherrlich Professor Brüning vom Institut für Weltforstwirtschaft in Hamburg. Felix Hellmann von der Gewerkschaft Holz und Kunststoff schwang sich derweil zum Richter auf, wem Tropenholz abgekauft werden dürfe: Bei progressiven Regierungen in „jungen“ Staaten wie Nicaragua und der Volksrepublik Kongo sei das nicht zu beanstanden.

Derart offene europäische Allmachtphantasien legte Gerriet Harms, Holzhändler und Robin-Wood-Aktivist, nicht an den Tag. Er übte sich statt dessen in brachialen Vereinfachungen der komplizierten Zustände in den Entwicklungsländern. „Korruption und Korruption und Korruption macht den Regenwald kaputt, alles andere ist zweitrangig“, analysierte er gleich zu Anfang. Und noch eine Verallgemeinerung: „In Brasilien haben die Bauern nichts zu sagen - wenn sie etwas sagen, werden sie ermordet.“

„Eurozentrismus“ sei noch ein sanfter Ausdruck für das, was bei der Tropenholzdiskussion geäußert wurde, meinte danach die Schweizer Ethnologin Pierrette Ziegler-Birraux, die vier Jahre in Brasilien gelebt hat. Und verständlich, daß sich in Lateinamerika selbst Protest gegen soviel Besserwisserei regt. „Es ist sinnlos, den Nordamerikanern und Europäern zu sagen, daß sie in ihren eigenen Ländern keine guten Propheten waren. Dort haben sie mit ihrer Besiedlung den Wald zerstört und die Indianer ermordet“, bemerkte im April dieses Jahres spitz der brasilianische Innenminister Joao Alves Filho vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Besonders Brasilien, größter Teilhaber am Amazonasbecken, war damals ins Kreuzfeuer der nordischen Umweltaktivisten geraten.

Dabei sind sich die meisten lateinamerikanischen Staatsoberhäupter durchaus des Problems der wachsenden Umweltzerstörung im Amazonasgebiet bewußt. Doch zwischen Denken und Handeln bestehen meilenweite Abstände - nicht zuletzt auch, weil sich die Macht der südamerikanischen Staatsapparate immer mehr zersplittert und privatisiert.

Nicht nur auf Regierungsebene kommt in den Amazonasländern Unwille auf. Auch die Organisationen der indianischen Völker wehren sich gegen allzuviel Einmischung der europäischen Geldgeber. „Die europäischen Unterstützer begehen auch Fehler“, drückte es Evaristo Nugkuag, Präsident der Organisation amazonischer Völker, diplomatisch aus. Im vertraulichen Gespräch können die Indios es auch anders und deutlicher sagen: „Jemand aus der westlichen Welt hat uns nicht zu sagen, was wir zu tun und lassen haben.“ Gelächter kommt auf, als einer der Indios ein altes Wortspiel erwähnt: Nicht Ethnologen seien diese Sozialwissenschaftler, sondern Ethnokannibalen. Doch auch bei uns gibt es warnende Stimmen

-wie die von Klaus Groth, von der AL nominierter Staatssekretär für Umweltfragen in Berlin: Er spricht von der Gefahr, daß „wir uns unserer Probleme dort in Amazonien stellvertretend entledigen“.

Um den Amazonasurwald zu retten, ist eine sorgfältige Abstimmung mit den Lateinamerikanern notwendig. An Kooperation besteht dort durchaus Interesse. Die Programme aber, erklärten acht lateinamerikanische Staatsoberhäupter im Mai, müßten „frei und ohne äußeren Druck“ in den jeweiligen Ländern beschlossen werden.

Auch die Indios fordern ein Mitspracherecht bei allen den Amazonaswald betreffenden Fragen. Ein wichtiger Punkt: Finanzhilfen sollten möglichst direkt an die Indioorganisationen gehen. Wenn solche Forderungen nach gleichberechtigter Kooperation nicht umgehend ernst genommen werden, dann könnte es tatsächlich zu dem kommen, was Klaus Groth einen künftigen „Ökokolonialismus“ nennt.

Ciro Krauthausen