Gemeinsam gegen die Urwaldzerstörung

■ Auf den „Amazonientagen“ in Berlin trafen sich europäische Umweltschützer und Vertreter der Indianer

Bisher ging es darum, Brasiliens Regierung mit ihrem Staudammprogramm, die bundesdeutschen Holzimporteure und die internationalen Konzerne anzuprangern, weil sie die rapide Zerstörung des Amazonasregenwalds zulassen und betreiben. Doch langsam sind auch Konzepte zur Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika gefragt. Heute gehen in Berlin die ersten „Amazonientage“ zu Ende. Der Trägerkreis brachte Vertreter indianischer Organisationen mit hiesigen Umweltschützern und Solidaritätsgruppen an einen Tisch.

Auf der Landkarte der Solidaritäs bewegung sind sie noch nicht lange verzeichnet, die Tieflandindianer vom Amazonas. Erst mit der Regenwaldbewegung und weil es schließlich auch das bei uns produzierte Kohlendioxyd ist, das dort abgebaut werden muß, haben europäische Gruppen begonnen, mit ihnen die Zusammenarbeit zu suchen. Und weil sie auf einmal organisiert auf traten.

Fünf von ihnen saßen in Berlin bei den Amazonientagen zusammen auf dem Podium. Die Abholzung des Regenwalds kennen wir aus dem Fernsehen. Aber wie sehen die Indianer aus? („Indianer? Nur weil ein Europäer nicht in der Lage war, den Seeweg nach Indien zu finden, sind wir noch lange keine Indianer.“) Sie sehen aus wie Kirchenfunktionäre: nicht in Jeans und Turnschuhen, aber auch nicht overdressed. Und nicht so dick wie Gewerkschaftsfunktionäre.

Evaristo Nugkuag aus Kolumbien ist einer von ihnen. Goldbrille, gepflegtes Haar, ein redegewandter Funktionär, Vertreter der „Koordinationsstelle der Völker des Amazonas“. Er ist anders als die Indianer in den Tropenwaldfilmen, eher ein Mittler zwischen den Kulturen, zwischen den Denkweisen. Eine Frage, von der er weiß, daß sie kommen wird, nimmt er gleich vorweg: „Wir sind hier fünf Männer. Nicht daß wir meinen, mehr Wert zu sein als unsere Frauen. Aber hierher nach Europa kommen, das ist anders als ins nächste Dorf zu gehen. Die Frauen sind noch stärker als wir an das Haus, den Garten und die Kinder gebunden. Wie Weiße denken, bleibt ihnen noch mehr als den Männern verschlossen.“

Die Selbstorganisation der Indianer ist für den Kolumbianer Evaristo Nugkuag das zentrale Problem. Ohne Organisation wäre er nicht hier, ohne Organisation würde ihm keiner zuhören. Er gibt sich Mühe zu vermitteln, was Organisieren bedeutet: Die Menschen lebten früher in Familienverbänden, erzählt er. Erst Missionare brachten sie in Dörfern zusammen, um sie besser zivilisieren, evangelisieren und kontrollieren zu können. Anders als bei den Andenbauern gab es keine gemeinschaftlichen Organisationsmodelle. Was mußte passieren, fragt Evaristo, damit Regenwaldvölker so etwas taten, das ihnen doch wesensfremd ist? Und er gibt selbst die Antwort: Die Ausweichmöglichkeiten in den Urwald wurden immer enger, der Lebensraum reichte nicht mehr aus.

Beim Organisieren kam er auch mit den „anderen“ Europäern zusammen. Kritische Ethnologen hatten als erste die Gefahr der Ausrottung der Amazonasvölker erkannt, sie bauten ein internationales Netzwerk auf und bereiteten durch Publikationen den Boden für internationale Hilfeleistungen vor. Von oben. Das Resultat waren Jet-set-Indianer auf Weltkonferenzen. Daraus habe man gelernt, berichtet der Kolumbianer, daß man vor allem von der Basis her aufbauen muß.

Einheit der Indianer, das ist das nächste Ziel von Evaristo. Wieder sind es Weiße, die spalten. Das reaktionäre „Summer Institute of Linguistics“ aus den USA gründet die sogenannte „Unabhängige Organisation des Shuarvolks“, zieht sich korrumpierte Führer heran und fliegt Kranke mit dem Hubschrauber aus, um sie im Hospital ideologisch bearbeiten zu können. Und Teile der katholischen Kirche verdammen von der Kanzel herab die „Kommunisten“ der indianischen Selbstorganisation.

Warum eine eigene Radiostation ihnen gegen diese Propaganda viel nützen würde, erklärt Evelio Arambiza aus dem Osten Boliviens. „Uns fehlt noch Einfluß, weil wir so wenig Zeit haben, uns auszudrücken. Der Raum des Radios gibt uns Zeit, unsere Ideen zu entwickeln. Dann können wir sagen, was im Wald passiert. Dann können wir zum Beispiel auch erklären, warum wir organischen Landbau richtig finden.“

Evelio Arambiza muß sich lange die Zuschauer ansehen. Wie gehören sie zusammen? Warum stehen sie auf und gehen hinaus, während wir reden? Dann fällt ihm ein, wie sie selbst sich gewehrt haben, in Häuser der Regierung umzuziehen. „Das wäre eine Qual für unsere Hühner.“ Wie können Menschen in diesen Städten überhaupt leben? Der Schlüssel der Entwicklung ist für ihn „ein großes Landgebiet, wo Menschen, Tiere und Pflanzen leben können“.

Seine Welt - unsere Welt. Der erfahrene Evaristo Nugkuag knüpft dagegen beim europäischen Ökobewußtsein an: Mehrere Arten verschwinden stündlich von der Bühne des Lebens. Die Dinosaurier seien vor 65 Millionen Jahren in einem Jahrmillionen dauernden Prozeß ausgestorben, gegenwärtig werde das Leben im Tropenwald in wenigen Generationen vernichtet. Immerhin, um die Flora und Fauna kümmerten sich jetzt die Industrienationen, im eigenen Interesse. Die Ureinwohner spielten aber bisher keine herausragende Rolle.

Auch auf die Frage, wie die Völker des Amazonas das Regenwaldproblem lösen wollen, ist er vorbereitet. Erstens fordern sie das Landrecht. Zweitens die Kontrolle über alle Projekte der Weltbank, der EG und aller anderen Geber. Vor jedem Projekt wollen sie konsultiert werden. Autonome regionale, nationale und internationale Organisations strukturen stehen, die Voraus setzung zu Kontrollmaßnahmen sind gegeben.

Was heißt für die Regenwaldbewohner aus den acht Amazonasstaaten eigentlich „autonom sein“? Geht es ihnen um einen unabhängigen Staat? Wieder ist Evaristo der schnellste: „Keine eigene Regierung, nur unsere Kulturformen, eigene Chefs und unsere Strukturen. Natürlich im Rahmen der Gesetze jeder unserer Staaten. Etwas mehr von Rauchende Colts könnten die Indios schon bringen, warum sind sie so pazifistisch? Wir sind zwischen einem und fünf Prozent der Bevölkerung. Und wir wissen seit 1492, wer unsere Gegner sind und wie sie sich uns gegenüber verhalten. Nationale Organisationen und internationale Kampagnen sind unsere Stützpfeiler.“

Wieland Giebel