Eine Giftküche nach Seveso-Art

■ In Kirchweyhe darf ein Kesselreinigungsbetrieb nach eigenem Belieben Anwohner krank machen / Gewerbeaufsicht guckt zu

Alltag bei der Firma RBS in Kirchweyhe bei Bremen: Ein Arbeiter klettert mit einer Gasmaske vor dem Gesicht in einen Eisenbahnwagon, Gasdämpfe steig der geöffneten Lucke. Alltag bei den Anwohnern in den teilweise nur 50 Meter entfernten Häusern: Fenster werden geschlossen, und auf einem gelben Bogen wird der aktuelle Geruchsbericht verfaßt. Unter „Art des Geruchs“ können die Kirchweyher vermerken, ob es nach faulen Eiern, Mottenkugeln oder Urin riecht. Unter der Rubrik: Art des Befindens werden Folgen des Gestanks angekreuzt: „Übelkeit, Atemnot, Augenbrennen, Muskelzucken.“

RBS, das steht für „Reinigen, Beschichten, Strahlen“. Eine Firma, die in Kirchweyhe am Rande eines Wohngebietes jährlich 3.-4.000 Waggons reinigt, in denen zuvor alles transportiert wurde, was giftig ist: Von A, wie Azeton, bis Z, wie Zyankali. Gereinigt wird mit dem giftigen Lösungsmittel Trichlorethylen (TRI), von dem RBS jedes Jahr 15 Tonnen verbraucht. In einem Gutachten des Bremer Umweltinstitutes wurden im Grundwasser TRI-Werte ermittelt, die 12.000 Mal über der zulässigen Trinkwasserkonzentration lagen. In der Bodenluft lagen die Werte um das 50fache über den am Arbeitsplatz erlaubten (MAK-)-Werte.

Auf die Idee mit dem Giftpro

tokoll kam die Bürgerinitiative, als sie vom Gewerbeaufsichtsamt erfuhr, daß der Betrieb nicht mehr als drei Prozent aller Jahresstunden stinken darf. Wird dieser Werrt überschritten, muß das Amt Auflagen erlassen. Nun haben die Bürger zwar „Fakten für die Akten“ geschaffen und sind auf etwa 17 Prozent gekommen, geändert aber hat sich nichts.

Inzwischen hat auch das re

nommierte Darmstädter Ökoinstitut ein Gutachten verfaßt, daß auf 140 Seiten die Ängste der Kirchweyher voll bestätigt. Fazit der Wissenschaftler: Von der Anlieferung bis zur Endkontrolle werden gefährliche, krebserregende Stoffe frei. Und ein Unglück, eine Explosion oder ein Brand würden zur Katastrophe führen. Folgen wie in Seveso sind nicht auszuschließen.

Die Firmenleitung ist davon unbeeindruckt. Das Gutachtens, so Firmensprecher Gottfried Steinmetzger, beruhe lediglich auf Annahmen und nicht auf Untersuchungen vor Ort. Was Wunder, wurde dem Ökoinstitut doch der Zugang zum Firmengelände untersagt. „Einzelne Messungen haben ergeben, daß wir die Werte im Prinzip nicht überschreiten“, sagt Steinmetzger, muß aber zu

geben, daß die eigenen Messungen nach dem Zufallsprinzip wissenschaftlich absolut unhaltbar sind. Widerlegen könnte die Öko-Gutachter lediglich ein Meßprogramm über einen längeren Zeitraum, aber solche Programme gibt es nicht. Und solange das Gewerbeaufsichtsamt solche Meßprogramme nicht verlangt, sieht RBS kein Notweniodigkeit tätig zu werden.

Die Anwohner haben inzwischen zur ohnmächtigen Selbsthilfe gegriffen. Sie weigerten sich, ihre Kinder weiterhin in einen nahe gelegenen Kindergarten zu schicken. Ein Vater: „Die Kinder litten unter Allergien, Bauchschmerzen und Überlkeit.“ Jetzt ist der Kindergarten an einen anderen Ort umgezogen, und die Kinder sind wieder gesund.

Die grundsätzliche Situation aber wird sich trotz der Gutachten vermutlich auf absehbare Zeit nicht verbessern. Die Gemeinde hat zwar Schritte zur Stillegung gefordert, aber ansonsten kaum Handlungsmöglichkeiten. Und eine juristische Auseinandersetzuung birgt für die Bürgerinitiative wegen des hohen Streitwertes und weiterer Koten für Gutachten ein unkalkulierbares finanzielles Risko.

Wo einmal Dreck ist, kommt neuer Dreck dazu. Seit zwei Jahren plant die RBS auf dem verseuchten Gelände einen Giftmüllverbrennungsofen zu bauen. Das Gewerbeaufsicht prüft den Antrag, hat aber in diesem Falle eine besondere Schwierigkeit. Bislang konnten die Firmenvertreter nicht einmal mitteilen, wieviel verschiedene Stoffe in welchen Mengen anfallen.

Von der Kirchweyher Dreckschleuder bekommt auch die Bremer Kläranlage einen gehörigen Schwung Dreck geliefert, ist die Kommune am Stadtrand Bremens doch an das Bremer Kanalnetz angeschlossen. Der Abwasserzweckverband hat sich einen besonderen Trick einfallen lassen, um der Firma keine Schwierigkeiten zu machen. Nicht das Abwasser von RBS muß die Grenzwerte einhalten, sondern das gesammte Abwasser Kirchweyhes. Durch Verdünnung mit den Hausabwässern ist das PBS-Gift am „Abwasserübergabe-Punkt“ nach Bremen genügend verdünnt, um nicht mehr unangenehm aufzufallen.

Am Dienstagabend trafen sich etwa 300 Kirchweyher im Rathaus zur Bürgerversammluing und waren erschüttert, als der Vertreter des Öko-Institutes sein Gutachten referierte, erschüttert und auch ein wenig resigniert. Ein Mitglied der Bürgerinitiative: „Man prüft und prüft und prüft. Vielleicht prüft man sich mal tot.“

Holger Bruns-Kösters