Scheuklappen

■ Die AL-Diskussion um die Aussiedler ist unglaubwürdig

„Was nicht sein darf, das kann nicht sein“ - diese Devise leitet immer noch viele AL-Mitglieder, wenn sie über die Probleme diskutieren müssen, die der Zuzug in die Stadt mit sich bringt. Es ist nun ein halbes Jahr her, daß der damalige Abgeordnete Volker Härtig die Zielkonflikte offenlegte, die zwischen der AL-Forderung nach „offenen Grenzen“ einerseits, den wohnungs-, umwelt- und sozialpolitischen Wünschen der Partei andererseits klaffen. Das wischte die Partei damals einfach weg - zum Teil mit dem bemerkenswerten Argument, die AL könne sich nicht den Kopf des Senats zerbrechen.

Etwas mehr Kopfzerbrechen kann man heute schon von der AL erwarten, zum Beispiel über den Unterschied zwischen einem Problem und seiner Lösung. Die realen Probleme konnte schon vor einem halben Jahr keiner einfach wegdiskutieren - und das sind eben keine Konsequenzen, die einem abstrakten „Bauwesen“ aufgeladen werden, sondern konkrete Menschen. Betroffen sind - und das ist alles nicht neu - zum Beispiel Alleinerziehende, Ausländer oder Studenten, die am stärksten unter der Wohnungsnot leiden. Andererseits sind es auch nicht die Aussiedler, die den Senat hier in die Klemme bringen. Woher die Menschen kommen, ist schließlich völlig gleichgültig - solange es um die Analyse von Ursachen geht. Kämen westdeutsche Zuwanderer in gleicher Zahl wie osteuropäische, der Wohnungsmarkt sähe weit katastrophaler aus. Anders sieht es bei der Diskussion von Lösungen aus: Daß hier auch die Realpolitiker der AL die Schwächsten, also die osteuropäischen Zuwanderer ins Visier nehmen, das ist der ganz alltägliche Zynismus der Regierungspolitik. Westdeutsche und EG-Zuwanderer kann nun mal keiner aussperren, osteuropäische wohl. Diese Konsequenz, egal welcher Regierungspolitik, kannte die AL schon vor einem halben Jahr. Wäre sie ebenso ehrlich wie moralisch gewesen, hätte sie sich rechtzeitig Konzepte überlegt - oder eine Regierungsbeteiligung verweigert.

Hans-Martin Tillack