Schief ist englisch, und englisch ist modern

■ Arbeiten des britischen Typographen Neville Brody in der Berliner Kongreßhalle

Früher fragten die Leute Frau Irene, heute lesen sie Lifestyle-Magazine, wenn sie wissen wollen, welches Outfit angesagt ist. Um das Outfit der Magazine und Texte selber, um deren Layout und Typographie bemühte sich erfolgreich der britische Designer Neville Brody (geb. 1957), dessen Arbeiten zur Zeit in der Berliner Kongreßhalle zu sehen sind. Das beginnt bei den frühen Entwürfen, die der Student Brody am renommierten Londonder College of Printing fertigte - er galt dort als Enfant terrible - es folgen die schrecklichen Covers in Fünziger-Jahre-Manier für Pinguin -Krimis, und eine ganze Wand von Logos für die verschiedensten Firmen und Zwecke, die Gestaltungen diverser Zeitschriften (allen voran das Szene-Magazin 'The Face‘, dessen Art-director Brody war, bis hin zum 'New Socialist‘, Hausorgan der britischen Labour Party), und schließlich Plattencovers und Plakate für die Gruppen „Cabaret Voltaire“, „Clock DVA“ und „23 Skidoo“.

Die Headlines und Aufmacher Brodys fallen auf, sie vermitteln etwas von der Unruhe und Aufmüpfigkeit des Punk. Klassische Typographien wie die der russischen Konstruktivisten oder des Bauhauses werden verfremdet durch Schrägstellung, Umkehrung und extreme Reduktion von Lettern (sie haben keine Serifen, keine Füßchen mehr), durch abrupten Wechsel der Schriftgrößen. Brody zitiert nicht mehr Traditionen, er dekonstruiert sie. Ähnliches gilt von den Bildelementen: verzerrte Perspektiven, zerschnittene Gesichter, grobe Rasterungen, teilweise wie im Zoom herangeholte Ausschnitte. Konstant sind geometrische Farbflächen, wie wir sie nicht erst von der New-Wave -Ästhetik kennen.

Vieles ist originell, aber ändert nichts an der Botschaft. Vielleicht ist gutes Design das, was in der Wahrnehmung mit dem Gegenstand verschmilzt, gutes Layout so, daß man sich den Text gar nicht mehr anders vorstellen kann. Aber um Originalität, Individualität und Neuheit um jeden Preis schien es besonders den Veranstaltern der Ausstellung von der Zeitschrift 'Tempo‘ zu gehen, die Brody ein Doppelheft gestalten ließen, sozusagen die Startnummer in die neunziger Jahre: 'TEM90‘. Man kann sie auch umkehren und von hinten lesen: kein Sorge, es ist nicht japanisch, nur (sehr) deutsch, und recto wie verso wird mit großen bunten Pfeilen auf die neunziger Jahre und das „Lebens-Design“ verwiesen, das zu entwerfen hat, wer dann noch mithalten will. Heftig geprobt für die Neunziger wurde offenbar bereits auf der Vernissage. Da gab es unter anderen wieder: die Frau im Dirndl, die Dame mit geschnürtem Mieder, das Mädchen in Hot pants mit dicken Beinen, den Mann in Sepplhose, den Typ mit raushängendem Südseehemd, den Herrn mit Schlips und Kragen...

Beim Verlassen des Ausstellungsraums stoßen wir sogleich auf eine Ausstellung über die Hopi-Indianer und die Büchertische der Amazonientage mit Info-Material für die Rettung der tropischen Regenwälder. Die Zeitung der Amazonientage hat eine einzige grüne Headline: „Kararao“, und darunter steht ganz naiv: „KararaoWehrt Euch!“ Sind wir wirklich im „Haus der Kulturen der Welt“? Ach ja, das Briefpapier und die Karten dieses Hauses hat Neville Brody auch gestaltet, sie gehören zu den dezentesten seiner Kreationen: kleine bunte Quadrate, einfache Schrift.

Marianne Karbe

Die Zeichensprache des Neville Brody: bis 28.7. im Haus der Kulturen der Welt (Kongreßhalle); 17.-29.10. in Frankfurt, Karmeliterkloster; 24.11.-7.1.'90 Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe