Madrid will „weiche Landung“ nach Boom

Unternehmer und Gewerkschaften gegen Geldverknappung zur Wachstumsbremse  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Drei Jahre lang war sie frei aufwärtsgaloppiert, doch am vergangenen Wochenende beschloß die spanische Regierung, der Wirtschaft des Landes die Zügel anzulegen. Durch die Erhöhung der Kassenreserven, d.h. jenes Anteils an ihren Kundeneinlagen, das die Banken bei der Spanischen Zentralbank zinslos festlegen müssen, von 18 auf 19 Prozent werden den Banken 250.000 Millionen Peseten (ca. 4.000 Mio. DM) entzogen.

Die Erhöhung der Quellensteuer (Vorabzüge von den Zinsen aus Kapitalanlagen) von 20 auf 25 Prozent trifft mittlere und größere Kapitaleigner und wird dem Staat 60.000 Millionen Peseten einbringen. Durch eine Verschärfung der Bestimmungen für Lebensversicherungen und die Abgabe von Schuldnerbriefen von Banken an Kapitalanlieger, die bislang zu Spekulationen in großem Rahmen gedient hatten, werden dem Kapitalmarkt weitere 250.000 Millionen Peseten entzogen.

Ziel der Maßnahmen ist es, das spanische Wirtschaftswachstum zu bremsen, das in den vergangenen Jahren das höchste der EG gewesen war. Durch die Erhöhung der Quellensteuer werden Kredite noch teurer, die schon heute auf der schwindelnden Höhe von etwa 20 Prozent liegen. Dadurch soll der Konsumrausch gedämpft werden, in dem sich die Spanier seit einigen Jahren befinden.

Eine „weiche Landung“ der spanischen Wirtschaft will Wirtschaftsminister Carlos Solchaga damit erreichen, denn es sei denkbar, daß sie weiterhin mit einem Rhythmus wachse, der für dieses Jahr sieben Prozent vorsieht. Die Kaufwut der Spanier, die bislang noch keine äquivalente Produktivität im Lande selbst gegenüber steht, wird bis Ende '89 zu einem Handelsbilanzdefizit von neun Milliarden Dollar führen, und auch die Inflationsrate liegt mit sieben Prozent über dem EG -Durchschnitt.

„Vollbremsung für den Konsum der Reichen“ nannte die Tageszeitung 'El Independiente‘ die Maßnahmen der Regierung, und der Unternehmerverband CEOE zögerte nicht, sie zu kritisieren, da sie die Investitionsbereitschaft senkten. Eine ähnliche Kritik kam allerdings auch aus den Reihen der beiden großen Gewerkschaften, der kommunistischen Comisiones Obreras (CCOO) und der sozialistischen UGT. Durch die Austeritätsmaßnahmen, so die beiden Organisationen, werde die Nachfrage gesenkt und Investitionen erschwert. Somit seien auch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu erwarten - Spanien hat mit 18 Prozent noch immer die höchste Arbeitslosenrate der EG.

CCOO und UGT haben gerade ein gemeinsames Programm ausgearbeitet, das just in die andere Richtung geht: Sie fordern mehr und qualifiziertere Arbeitsplätze, eine Verstärkung des sozialen Netzes (Langzeitarbeitslose erhalten bislang nur zu einem geringen Teil Leistungen vom Staat) und stärkere Mitbestimmungsrechte in den Betrieben. Was die Gewerkschaften vor allem stört, ist der Alleingang der Regierung, die sich seit dem guten Abschneiden der Sozialistischen Partei PSOE bei den Europawahlen noch weniger als zuvor von Streikdrohungen einschüchtern läßt.

Die Äußerungen des Staatssekretärs für Finanzen, Jose Borrell, daß sowohl Steuererhöhungen als auch ein Anheben der Mehrwertsteuer nicht auszuschließen seien, falls die Austeritätsmaßnahmen nicht wie gewünscht greifen sollten, erhöhen die Skepsis der Gewerkschaften. Sie befürchten, daß die nun ergriffenen Maßnahmen nur der Auftakt zu einer umfassenden Austeritätspolitik sind, deren Preis erneut sie bezahlen werden müssen. Der Ton wird langsam wieder drohender. Dem Frühjahr voller Streiks könnte durchaus ein heißer Herbst folgen, falls die Regierung nicht zu ernsthaften Verhandlungen mit den Gewerkschaften bereit ist.