Wirtschaftsreform: Nomenklatura erwirbt Staatsbetriebe

Privatisierung mit Hindernissen: Solange es noch geht, kauft sich Polens Funktionärsklasse in die Wirtschaft ein / Auch für die Arbeiter bleibt ein Stück vom Kuchen: Arbeiter werden Aktionäre, aus Staatsbesitz wird Parteibesitz - aber ohne gesellschaftliche Kontrolle  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Die Nomenklatura baut sich ein Nest“, hatte die Wahlkampfzeitung von Solidarnosc getitelt und brachte einen Betrieb in die Schlagzeilen, der auch bisher schon von Polens Öffentlichkeit kritisch beäugt worden war: „Iglopol“. Dieser Lebensmittelgigant mit 37.000 Beschäftigten hatte sich von einem Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft verwandelt und dies, so fand auch das Finanzblatt 'Gazeta Bankowa‘, auf verdächtige Art und Weise.

Da Polens Wirtschaftsreformer inzwischen auch zu dem Schluß gekommen sind, daß Staatsbetriebe eigentlich niemand betreibe und damit unwirtschaftlich sind, ermöglicht seit kurzem ein entsprechendes Gesetz deren Umwandlung in Aktiengesellschaften. Und damit diese Art kapitalistisch anmutender Privatisierung zumindest verbal einigermaßen „sozialistisch“ bleibt und die Gewerkschaften nicht auf den Plan ruft, ist dabei auch vorgesehen, die Arbeiter zu Aktionären zu machen. Edward Brzostowski: „Wenn ein Arbeiter weiß, daß der Betrieb zum Teil wenigstens auch ihm gehört, dann ist er doch gleich ganz anders motiviert.“ Die Arbeiter hat er davon jedenfalls zu überzeugen vermocht. Der Betriebsrat beschloß, dem Antrag auf Umwandlung in eine Aktiengesellschaft zuzustimmen. Laut Gesetz muß sich die neugegründete Aktiengesellschaft dann an das zuständige Ministerium wenden, das das Vermögen des Betriebes anschließend an die Aktiengesellschaft vermietet.

Doch schon bei der Aktienausgabe geschah einiges, was die Kritiker auf den Plan rief. Die Emission nämlich war nicht öffentlich und nirgendwo ausgeschrieben. Aktien erwerben konnten, laut Statut der „Iglopol AG“, nur Mitarbeiter und Rentner des Betriebes, Dritte benötigten die Genehmigung des Aufsichtsrates. Auch der Weiterverkauf der Namensaktien ist an die Zustimmung des Aufsichtsrates gebunden. In einigen Fällen, so stellt ein Reporter der 'Gazeta Bankowa‘ fest, hatte dieser sein Placet erteilt und zwar auf eine Art und Weise, die dem Ganzen einen schalen Beigeschmack von Protektionswirtschaft verlieh: Aus Staatsbesitz wurde Parteibesitz. So erwarb 15 Prozent des Aktienpaketes eine „Transakcja Warschau“, die erst zu Jahresende 1988 und mit einem Stammkapital gegründet worden war, das gerade sieben Prozent des Nominalwertes der von ihr gekauften Aktien ausmachte. 66 Prozent der Anteile der „Transakcja“ gehörten der „Arbeiterverlagsgenossenschaft“, die in Polen praktisch das Monopol auf den Zeitungsvertrieb hat und Eigentum der Polnischen Vereinigten Arbeiter-Partei (PVAP) ist. Auch die „Landjugend“, eine regierungsnahe Jugendorganisation, ist nicht zu kurz gekommen. Direkt und über ihre beiden Firmen „Sykomat“ und „Agrotechnika Warszawa“, die beide ein geradezu lächerlich geringes Stammkapital (300.000 Zloty; eine Million Zloty 500 DM) aufweisen, kaufte die „Landjugend“ insgesamt 20 Prozent des emittierten Aktienpakets auf. Auch der PVAP-Bündnispartner „Vereinigte Bauernpartei“ war dabei: Über die von ihr mehrheitlich beherrschte „Piastpol“ in Warschau, die mit einer halben Million Zloty erst Mitte 1988 gegründet worden war, hält sie nun zehn Prozent der „Iglopol„-Anteile. Von den 37.000 Mitarbeitern von „Iglopol“ besitzt dagegen jeder, statistisch gesehen, nur einen 50.000-Zloty-Anteil. In der Aktionärsversammlung halten sie damit gerade 15 Prozent. Im Grunde ein schlechter Tausch dafür, daß es jetzt keinen Betriebsrat mehr gibt, denn zumindest formal sind die Arbeiter ja jetzt ihre eigenen Arbeitgeber. Immerhin: Der Betriebsrat hat dem Experiment zugestimmt. Daß es zumindest bei der Belegschaft gut ankommt, weiß indes die 'Polityka‘ zu berichten: „Ein Arbeiter verkaufte sogar seinen Wagen und legte ganze elf Millionen in Aktien an.“

Vor einem Aufkauf der Aktien durch Dritte ist „Iglopol“ gleich doppelt gesichert: Die Namensaktien dürfen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates veräußert werden, der noch dazu das Vorkaufsrecht hat und - 64 Prozent der Aktien befinden sich nach wie vor in der Hand von Staatsbetrieben. Ganze 0,1 Prozent sind für die Gewerkschaften übriggeblieben. Das sind nicht die einzigen Steine des Anstosses für die Kritiker des Experiments. Die 'Gazeta Bankowa‘: „Der Aufsichtsrat beabsichtigt bis Ende Juli die Auflösung des Staatsunternehmens 'Iglopol‘ und die Verpachtung des 'Iglopol'-Vermögens durch den Staat an die Aktiengesellschaft. Bis dahin bestehen aber beide Firmen nebeneinander, und bei der Direktion der AG und der Leitung des Staatsbetriebes handelt es sich um exakt die gleichen Personen.“

Seit es die entsprechenden gesetzlichen Regelungen gibt, ist dies in Polen eine häufige Erscheinung: Der Direktor eines Staatsbetriebes gründet eine Aktiengesellschaft und nimmt anschließend das Vermögen des Staatsbetriebes in Pacht. Das sei, so meinen besonders oppositionelle Wirtschaftsexperten, die Antwort der Nomenklatura auf die drohende Privatisierung. Ermöglicht wurde dies durch spezielle Vollmachten für die Regierung zur Durchführung der Wirtschaftsreform. Und nicht alle Oppositionellen sehen das nur negativ: „Wenn die Funktionäre nationales Vermögen in die eigenen Hände nehmen, haben sie ein Interesse daran, daß es pfleglich behandelt wird“, meint etwa Jacek Kuron. Allerdings werden damit Fakten geschaffen, die später nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen sind. Aus sozialistischen Wirtschaftsfunktionären werden Kapitaleigner.

Daß die Produktionsmittel vom Staat nur geliehen werden, ändert daran nichts. Der Gewinn der Aktiengesellschaften fließt als Anlagekapital zurück in den Betrieb, wodurch sich das Eigentum der nicht-staatlichen Anteilseigner laufend erhöht. Das geht natürlich auch für die Arbeiter-Aktionäre von „Iglopol“, meint Direktor Brzostowski. Die nämlich haben ihre Zustimmung zur Umwandlung gegen eine 18-prozentige Dividende gegeben. Mit deren Hilfe soll einerseits doch noch ihr bislang 15-prozentiger Anteil erhöht werden, darüber hinaus, so Brzostowski, bestehe die Möglichkeit, daß der Staat von seinem Kuchen zugunsten der Arbeiter ein Stück abgebe. Mit Hilfe einer Holding soll der Kapitalrahmen dann sogar noch auf westliche Joint-Venture, vor allem aus der Bundesrepublik und Österreich, ausgedehnt werden. Kritiker wie den Solidarnosc-Experten Prof. Beksiak beruhigt dies wenig. Die ganze Transaktion sei ohne gesellschaftliche Kontrolle unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt worden. Möglich war das, indem die Juristen von „Iglopol“ eine juristische Kuriosität ausgruben und sich zunutze machten. Allein aufgrund der Reformgesetze der Regierung Rakowski wäre das nicht gegangen. Doch gilt in Polen immer noch das alte Handelsgesetzbuch von 1934, einer Zeit also, in der von Sozialismus in Polen noch keine Rede war. Und die Verbindung von beidem, Wirtschaftsreform und veraltetem Handelsgesetz, war es dann, die das Experiment möglich machte.