Sogar Brecht liebt Karstadt

■ Günter Krämers Inszenierung von B.B.s Dreigroschenoper in Hamburg

Das ist schon merkwürdig, in der Hamburger Staatsoper zu hocken und sie wiederzusehen und zuerkennen und sich dennoch die Augen zu reiben, ob sie es denn wirklich sind, „unsere“ Bremer. Denn das hier ist die große Welt. Da sitzen zu Füßen der riesigen Treppe, die die Bühne ausmacht, bei der Premiere der Dreigroschenoper silbergescheitelte Bänker in ihrem großen Nachtblauen, und Macheath, der vom endgültigen Abstieg bedrohte Aufsteigerganove, steigt die ganze Treppe hinunter und spricht zu ihnen - geradezu vertraut - die Klassiker gewordenen Sätze: Meine Damen und Herren. Sie sehen den untergehenden Vertreter eines untergehenden Standes. Wir kleinen bür

gerlichen Handwerker, die wir mit dem biederen Brecheisen an den Nickelkassen der kleinen Ladenbesitzer arbeiten, werden von den Großunternehmungen verschlungen, hinter denen die Banken stehen. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?

Und da geht ein Raunen durch die Klotz-und Kotzbalkons dieser Neuen Heimat-Staatsoper der späten 50er, und ein masochistisch-wonnevolles Stöhnen erfaßt die im Parkett. Und am Ende ist ein Jubel und Bravorufen, das Kapital, es jubelt über den Spiegel, der ihm vorgehalten. Mit ihm

jubelt die Berichterstatterin.

Weil alles so altvertraut ist. Und immer noch beunruhigend. Aber das merkt sie erst, als sie im Zug nach Bremen sitzt. Was tut man mit dieser Oper der durchkapitalisierten Beziehungen, wo im Zentrum aber auch jeder Liebe und Freundschaft der Verrat sitzt, wenn er sich nur rechnet? Was tut man damit, wenn sich fast niemand noch eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus vorstellen kann, der zur Utopie des Ostens und des Südens geworden ist?

Irgendwie haben sich denn auch unter Regisseur Krämers Händen klammheimlich die galligen Beweisstücke für ein verrottetes System ins Personal der Comedie Humaine verwandelt. All diese lügnerischen, gemeinen Schurken und VerräterInnen, sind sie nicht einfach Menschen in ihrem Widerspruch, so prall, so liebenswert? Ingrid Caven, die der metallenen Härte der Seeräuberjenny einen Schuß traumwandlerische Weichheit und Trauer zufügt; Grete Wurms Frau Peacham, kettenraucherknarzend-sinnliches Fanal gegen die Sinnlichkeit:Therese Dürrenberger als durchtrieben-naive Polly, Angelika Mann ihre haßtriefende, musterschülerin-groteske Rivalin Lucy. Und zwischen all diesen wunderbaren Schauspielerinnen eben „unsere“ Ex-Bremer: Hans Falar als Peacham, tanzender Meister der agilen Bodenlosigkeit und Martin Reinke als Macheath, der heroische Parvenu, der im Duett mit Polly mit süßklingender Tenorstimme aufwartet, alle zum Küssen und Staunen, das Ganze ein „Geniestreich“ (BZ).

Wer also noch nicht Abschied nehmen will von the Krämers, kann in der Hamburger Staatsoper bis 21. Juli en suite diese Produktion des Berliner Theaters des Westens sehen. Weil - der großen Treppe wegen - en suite gespielt werden muß, kam sie nicht nach Bremen. Wallfahrten wir eben nach Hamburg.

Uta Stolle