Revolutionäres Fernsehvergnügen

■ 200 Jahre Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit massenmedial zelebriert Peter Ustinov und Peter Scholl-Latour blättern in TV-Bilderbögen

Ende März 1989: In ganz Frankreich singen die Schülerinnen und Schüler das Leid der terreur, die Carmagnole, tragen rote Jakobinermützen, verbrennen am Ende ihrer Umzüge eine Bastille aus Pappe und pflanzen im Hof der Schule einen „arbre de liberte“.

Anfang Juli 1989: Michail Gorbatschow umarmt Fran?ois Mitterrand bei seinem Staatsbesuch in Paris mit der anerkennenden Bemerkung, nur Franzosen und Russen hätten in der Geschichte der Neuzeit eine anständige Revolution zustande gebracht.

Wie wird die Jubelfeier des engbefreundeten europäischen Nachbarn im Fernsehen einer Nation behandelt, deren Selbstbewußtsein bis heute darunter leidet, an der historischen Leistung einer demokratischen Revolution gescheitert zu sein? Ganz einfach: Das deutsche Fernsehen präsentiert die Französische Revolution aus der Sicht ihrer Verlierer. Peter Ustinovs Ur-Ur-Ur-Großvater floh vor 200 Jahren als Hofpatisseur des Herzogs von Montmorency zusammen mit diesem ins Rußland der großen Zarin Katharina, wo er eine später in den Adelsstand erhobene Dynastie gründete, in deren Wappen drei silberne fleurs de lis auf blauem Grund an das Ancien Regime erinnern sollten.

Ustinov erzählte die Geschichte, wie dieser aristokratische Hintergrund es erwarten läßt: Am Anfang und am Ende in der noblen Atmosphäre des historischen Cafes „Procop“ mit Kaffeetasse oder Weinglas in der Hand, immer ein wenig von oben herab, die Nase rümpfend über Eitelkeit, Bestechlichkeit, Gewinnsucht und andere allzu menschliche Eigenschaften der damaligen Revolutionäre.

Offenbar war der ARD die Sache auch gar nicht so schrecklich wichtig: Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, Szenen, in denen Ustinov offensichtlich steckenzubleiben drohte, noch einmal zu drehen. Und auch sonst waren der Sendung die gestalterischen Prinzipien der Lustlosigkeit und der Kostenersparnis anzumerken: Für diesen angekündigten „großen Abend“ hatte man einfach mehr oder weniger geeignete Szene aus älteren Spielfilmen über die Französische Revolution zusammengestellt. Ustinov verband diese Ausschnitte durch einen an den Schauplätzen der Revolution verlesenen Text, an denen heute nur noch der Pariser Verkehr im Hintergrund zu erkennen ist: eine wahrscheinlich unbeabsichtigte Persiflage auf die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft seit 200 Jahren.

Wenn man genau hinhörte, war Ustinovs Text dabei nicht ganz so oberflächlich, wie zu befürchten war: Die katastrophalen sozialen Zustände am Vorabend der Revolution, die für uns Deutsche seltsame, für Frankreich aber charakteristische Verbindung des Kampfes um Menschenrechte und soziale Errungenschaften mit Nationalismus und Zentralismus, auch daß die Ideen der Demokratie gar nicht in Frankreich, sondern in England und den USA geboren, aber erst durch die Französische Revolution und Napoleons Soldaten zu bewegenden Kräften der Politik in ganz Europa wurden, waren erwähnt. Und ein wenig Präzision und Authentizität bekam die Sache auch dadurch, daß man ausschließlich französische Spielfilme wie La Marseillaise von Jean Renoir verarbeitet hatte.

Aber schließlich waren es dann doch wieder die bunten Ausschweifungen des Adels, Marie Antoinette und Ludwig XI., das Blut Zigtausender Opfer der Guillotine und Hunderttausender Toter des Bürgerkriegs in der Vendee, die von der Sendung hauptsächlich im Gedächtnis blieben. Vielleicht kann das Bildermedium Fernsehen gar nicht anders, als Geschichte zum großen Spektakel zu machen, in dem die Erfahrungen der Vergangenheit verloren gehen.

Peter Ustinov hob am Ende das Glas an die Lippen und genoß seinen Bordeaux. Das sollte wohl heißen: Savoir vivre, das wird den Franzosen trotz ihrer sterilen politischen Aufgeregtheiten immer bleiben. Den französischen Schulkindern und ihren Lehrern bedeutet die Revolution offenbar mehr. Aber dafür können neidische Nachbarn wohl keinen Sinn entwickeln, auch wenn sie mittlerweile das Gefühl angenehm finden, in einer Republik zu leben.

Horst Pöttker