Sympathie-Streik

Die britischen Gewerkschaften kämpfen um ihr Überleben  ■ K O M M E N T A R E

Bei der britischen Premierministerin Margaret Thatcher hat sich die bittere Erkenntnis durchgesetzt, daß sich aus der gegenwärtigen Streikwelle in Großbritannien nicht die erwarteten politischen Vorteile schlagen lassen. Ihr Ruf als „Eiserne Lady“ beruht nicht zuletzt auf ihrem unnachgiebigen Umgang mit den Gewerkschaften. Ihr harter Kurs gegen die Bergarbeiter vor vier Jahren hatte sich an den Wahlurnen bezahlt gemacht. So ließ sie auch diesmal zunächst keine Gelegenheit aus, verbal über die streikenden Eisenbahner und Angestellten des Öffentlichen Dienstes herzufallen. Doch ihre bereits gewohnte Darstellung von Streiks als ein Kampf um die Herrschaft über Großbritannien verfehlte diesmal die Wirkung. Verschiedene Umfragen in den letzten Wochen haben ergeben, daß Thatchers Sympathien in der Bevölkerung den tiefsten Stand seit acht Jahren erreicht haben.

Die Unbequemlichkeiten, die der Bevölkerung durch geschlossene Bibliotheken und allwöchenlich lahmgelegte Züge und U-Bahnen bereitet werden, haben nicht dazu geführt, daß die BritInnen ihrer Premierministerin in der Verteufelung der Gewerkschaften zustimmen. Der Grund dafür liegt in der ruinösen Wirtschaftspolitik der britischen Regierung: Inflation und Zinssätze steigen stetig an, die Opposition gegen die Privatisierung der Wasser- und Stromindustrie wächst. Thatcher hatte vorübergehend gehofft, daß die Streiks von diesen Problemen ablenken würden. Doch die Forderungen der Streikenden nach einer Lohnerhöhung über der Inflationsrate von 8,3 Prozent stoßen bei der Bevölkerung auf Verständnis. Darüberhinaus haben die Streiks die überwältigende Unterstützung der Gewerkschaftsmitglieder und bewegen sich im Rahmen der von der Regierung festgelegten Bestimmungen über Arbeitskämpfe. Deshalb kann die Premierministerin keine Sympathie erwarten, wenn sie laut über ein generelles Verbot von Streiks im öffentlichen Dienst nachdenkt.

Maggie Thatcher schlug am Dienstag vor dem Unterhaus ungewohnt versöhnliche Töne gegenüber den Gewerkschaften an. Sie glaubt, daß das neue Angebot an die Eisenbahner von Lohnerhöhungen um 8,8 Prozent im Fall der Ablehnung dazu führen wird, daß sie in der Beliebtheitsskala ein paar Punkte zulegen kann - auch wenn die Inflation weiter steigt. Doch für die Gewerkschaften geht es um mehr: Sie kämpfen um ihr Recht, auch in Zukunft kollektive Verhandlungen über Tarifabschlüsse zu führen. Falls Frau Thatcher ihren Plan durchsetzen kann, die Tarifverhandlungen den einzelnen Unternehmen zu übertragen, hat sie die Macht der Gewerkschaften endgültig gebrochen.

Ralf Sotscheck