„Israel ist in deprimierender Krise“

Ehemaliger US-Botschafter fällt vernichtendes Urteil über Zustand der israelischen Arbeiterpartei: Peres weniger beliebt als je zuvor / US-Bemühungen um Erhalt der Koalition  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Tiefen Pessimismus überkam den ehemaligen US-Botschafter in Israel, Samuel Lewis, als er vor Ort die Chancen der Friedensbestrebungen im Nahen Osten erkundete. Lewis, ein erfahrender Diplomat, der acht Jahre in Israel verbrachte und die US-Admistration in Fragen der bilateralen Beziehungen berät, erstellte im Auftrag des Washingtoner Instituts für Nahostpolitik einen Bericht über die gegenwärtige Lage des Landes. Angesichts seiner deprimierenden Eindrücke empfahl er der US-Regierung, ihre diplomatischen Aktivitäten im Nahen Osten zu intensivieren und die Bemühungen um Wahlen in den besetzten Gebieten fortzusetzen und zu beschleunigen.

Die Israelis seien in einer von Frustrationen geprägten Stimmung und fürchteten die Zukunft. Er könne nicht erkennen, erklärte Lewis, wie Israelis und Palästinenser den kurzen Moment, an dem das Fenster zum Frieden geöffnet sei, für den richtigen Schritt nutzen könnten.

Der Bericht des ehemaligen US-Diplomaten fiel vor allem für die Arbeiterpartei von Schimon Peres vernichtend aus: Die Partei befände sich in einem chaotischen und beklagenswerten Zustand und sei im Niedergang beriffen. Peres selbst sei „sehr deprimiert“ und weniger beliebt als je zuvor. Sein Versagen als Finanzminister habe das weit verbreitete Gefühl erzeugt, daß das Land ökonomischen Problemen entgegensteuert und zu Verhältnissen zurückkehrt, die Schimon Peres in seiner Zeit als Ministerpräsident durch drakonische wirtschaftliche Maßnahmen überwunden hatte. Lewis‘ Auffassung zufolge wird die Arbeiterpartei die Koalitionsregierung mit dem Likud-Block solange nicht verlassen, wie Verteidigungsminister Jizschak Rabin gewillt ist, im Amt zu bleiben.

Andere US-amerikanische Beobachter sprechen jetzt von gemeinsamen Anstrengungen, nach dem Votum des Politbüros der Arbeiterpartei einen Bruch der Koalition zu verhindern. Der Schamir-Plan in seiner ursprünglichen Fassung soll weiter Grundlage der Politik der Regierung bleiben, selbst wenn dies zu eine Konfrontation mit den Hardlinern um Ariel Scharon nach sich ziehen würde. Die Anhänger Sharons hatten in der vergangenen Woche auf einer Sitzung des Zentralkomitees des Likud-Blocks ihre Bedingungen für Wahlen in den besetzten Gebieten als „Anhang“ zum Schamir-Plan durchgesetzt. Wie ein US-Regierungsbeamter bemerkte, könne der Friedensprozeß nur gerettet werden, wenn er unter der Führung Schamirs und Rabins stattfindet.