Alle Macht den Alten?

„Graue Panther, die kennt doch jeder“, murmelt die Männerstimme bei der Telefonauskunft, während die Finger nach der Rufnummer der Wuppertaler Verbandsszentrale suchen, „wie heißt doch gleich deren Vorsitzende? Trude Ungeheuer, nicht wahr? Na, egal. Ist jedenfalls prima, daß sich die Alten jetzt selbst organisieren und der Gesellschaft mal Dampf machen!“

Sich selbst organisieren und der Gesellschaft Dampf machen

-dazu hätten die Alten Grund genug. Getan haben sie es bisher so gut wie nie. Die Alten als politische Kraft, die mit dem Gewicht ihrer steigenden Zahl ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum einfordern, die eine 13 Milionen Mitglieder starke Lobby bilden, sind trotz Grauer Panther eine schöne Utopie, so naheliegend, so einfach, so wohltuend für die Gedanken ans eigene Älterwerden, aber doch so realitätsfern.

Sicher, vieles hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren geändert: „Senioren“ heißen die Alten jetzt, und ihre Kleidung ist bunter geworden. In der Werbung dürfen sie Lebensfreude ausstrahlen, auf Kreuzfahrten mag man gar nicht mehr auf sie verzichten, und hin und wieder sieht man sie sogar auf einer Demonstration. Einen politischen Machtfaktor bilden die alten Menschen deshalb noch lange nicht.

„Daß Alte als Alte aktiv werden“, meint Roland Schmidt vom „Deutschen Zentrum für Altersfragen“, „ist eher ein Traum von jungen Professionellen in der Altenarbeit. Ich glaube nicht an ein kollektives Altersbewußtsein. Dafür sind die sozialen Erfahrungen, die man jahrelang gemacht hat, zu unterschiedlich. Sicher, es gibt in den Kommunen und Ländern die Seniorenbeiräte und die Grauen Panther. Aber die soziale Wirklichkeit vor Ort wird immer noch vom gemächlich -gemütlichen Seniorenclub geprägt.“

Was das Interesse an Politik angeht, rangieren die über 60jährigen nach wie vor konkurrenzlos an allerletzter Stelle. Immerhin ist die Aufmerksamkeit für das politische Tagesgeschehen schon gewachsen. Als Indiz für wachsendes Engagement der Alten sehen professionelle Altersforscher, daß die Arbeit der „Seniorenbeiräte“ in den Städten und Gemeinden einigen Auftrieb bekommen habe. Mit politischer Selbstorganisation oder eigener Interessenvertretung haben jedoch auch diese Beiräte wenig zu tun.

Als ausschließlich beratende Gremien sind sie auf Gemeinde und Länderebene den Parlamenten zugeordnet. Teilweise vom Bürgermeister persönlich eingesetzt, reichlich bestückt und mildtätig vereinnahmt von Funktionären der Wohlfahrtsverbände, können sie bestenfalls auf örtlicher Ebene mitreden - zu sagen haben sie deswegen nichts. Und wer ihre hochtrabend „Bundesseniorenvertretung“ genannte Dachorganisation erreichen will, erntet für Tage ein monotones „tüt-tüt-tüt“ am Telefon.

Aber stimmt deswegen, was die Theoretiker der Altersforschung in umfangreichen Schriften darlegen, daß nämlich die Alten weitgehend nicht nur von der Politik, sondern auch voneinander die Nase voll haben? Roland Schmidt vom Deutschen Zentrum für Altersfragen zumindest glaubt einen Trend zu zwei verschiedenen Gruppen beobachten zu können: da seien einerseits die „armen Alten“, die auch in Zukunft an der Sozialhilfegrenze leben werden und die nach einem harten Arbeitsleben mit Brieftauben und Bastelzirkel in Ruhe gelassen werden wollen. Und andererseits die „Alten -Yuppies“, die „kompetenten, autonomenen alten Menschen“, die im Rentenalter die Palette von Reise- oder Bildungsangeboten ausschöpfen und als „fidele Alte“ mit allem zu tun haben möchten, nur nicht mit dem Alter.

Die Experten bezweifeln, daß rebellische RenterInnen bald die vielzitierte „Altenmacht“ aufbauen werden. Tatsache ist jedoch auch, daß niemand das bisher ernsthaft versucht hat mit Ausnahme der Grauen Panther. In den vierzehn Jahren ihres Bestehens haben die Panther als einzige völlig unabhängige und nur von Alten selber getragene Organisation einen festen Platz in der Gesellschaft erkämpft.

Bei Anhörungen über Rentenprobleme und neue Wohnmodelle gehören die Panther längst wie selbstverständlich als Experten dazu, und als Referenten sind sie selbst bei Polizeieinheiten mit Spannung geladene Gäste. Dennoch ist die Mitgliederzahl der Panther mit 30.000 nicht viel größer als die manches Sportvereins. „Die Alten sind als Interessenvertretung immer noch schwach“, räumt Lisette Milde, zweite Vorsitzende der Panther, ein. „Es stimmt, daß viele alte Leute gar nicht als Alte angesprochen werden wollen. Es ist auch schwer, die der Politik Überdrüssigen für politische Zusammenhänge zu interessieren. Aber da ist etwas in Bewegung geraten. Es kommen beispielsweise immer mehr Frauen, die aus dem Beruf ausscheiden, direkt zu uns.“

Wenn die Panther mit ihren Protestplakaten vor ein Altenheim ziehen oder sich in eine Anti-AKW- oder Friedensdemonstration einreihen, da bekommen vielleicht auch einige Politiker eine Ahnung, was ihnen ins Haus stehen könnte, wenn die Alten sich stärker als eigene Lobby formieren würden. Fast wortgleich warnen denn auch die „Seniorenexperten“ von CDU und SPD davor, doch bitte schön nach dem „Geschlechterkieg“ nicht noch einen „Generationenkrieg“ zu propagieren.

Vera Gaserow