STURM AUF DIE DESTILLE

■ „Bal populaire“ vorm Reichstag

„Der Franzmann hat was auf'm Kasten“ - „Unvergeßlich“ „Ganz große Klasse“ - „Sollte es öfter geben“ - „Affengeil“

-Stimmen aus dem Berliner Volk zur großen Jubiläumsveranstaltung vor dem Reichstag. Kein Zweifel: vom Feiern verstehen sie was, die Franzosen, ganz besonders, wenn die 200-Jahr-Feier der „grande revolution“ von 1789 auf dem Programm steht. „Nicht chauvinistisch, sondern humorvoll und zärtlich“, lautete die von den Veranstaltern ausgegebene Feiertagsparole (Humor ist die Zärtlichkeit der Völker).

Gesagt, getan: das für seinen Humor landesweit berühmte Polizeiorchester Berlin (es besitzt die größte Türkenwitzsammlung der BRD) setzte nicht nur die Tanzbeine in Bewegung (Tanzbein frei), sondern auch die Lachmuskeln, indem es teils mit nostalgischen Revolutionskostümen, teils mit Haßmasken und - was ganz besonderen Anklang fand - teils mit Frauengewändern umhüllt auftrat. Wer diesem Polizeiorchester zuschaute, bei dem mußten unweigerlich die lieb gewordenen alten Feindbilder mit Tschingderassasa zerbrechen. Wir vom Feindbild-Abrißunternehmen „Dialog“ sagen uns immer wieder, wie schön es doch wäre, besäßen die Autonomen (in letzter Zeit auch türkische Gruppen) auch derart viel Selbstironie, statt ihrer störenden Gewaltbereitschaft. Wie scherzte doch der Musikeinsatzleiter: „Wir haben heute Lachbereitschaftsdienst“ - da mußte sogar eine stadtbekannte Haßkappe leicht schmunzeln.

Großer Applaus auch für die 40 Cancan-Tänzerinnen, die die Stimmung derart spitzenmäßig zum Siedepunkt trieben, daß sich die Berliner mit einer Polonaise quer über die Bühne bedankten. Einige enthusiasmierte Herren ließen sich im folgenden zu einem Striptease hinreißen, was mit viel Gejohle („Hau weg den Scheiß, Dieter“) von den Umstehenden quittiert wurde. Doch danach hieß es wieder einmal: „Der schönste Platz ist immer an der Theke“, was von den schwer erregten Strippern (nur die Unterhose fiel nicht) mit lautem Hallo aufgenommen wurde. Jetzt rief nur noch „dieses fremdländische Gedudel“ auf der Hauptbühne Mißfallen hervor, aber schon bald war ein beträchtlich phonstarker Ghettoblaster aufgetrieben, der nur eine Frequenz kannte: Hundertkommasechs, was wiederum zum erneuten Sturm auf die Destille führte - ein Berliner Gruß an das geschichtsträchtige Pariser Ereignis vom 14.Juli vor genau 200 Jahren. Und das war ja auch der Grund der hiesigen Zusammenkunft.

Doch bevor die Festlichkeiten solchen unvergeßlichen Momenten entgegensteuerten, hatte es ganz sportiv angefangen. Nach einem nostalgischen Fahrradrennen und einem Kellnerwettrennen (Rotwein, Baquette und Camembert auf dem Tablett balancierend) gab es den heftig beklaschten ersten Höhepunkt: das Wettguillotinieren. Zwei auf der Bühne vor dem Reichstag montierte Henkersmaschinen sollten nicht nur nostalgisch an die „rote Messe“ von 1793/94 erinnern, sie sollte auch sinnlich erfahrbar werden. Das Wettköpfen war auf jeweils 15 Minuten angelegt. Die zu bearbeitenden Objekte hatten Andre Heller und Hermann Nitzsch gemeinsam entworfen: lebensgroße, äußerst bewegliche Kautschukpuppen, die auf die gelungene Enthauptung mit einer aus dem offenen Hals losspritzenden Blutdusche reagieren. Die beiden Spielhenker mußten die Deliquenten vom Leiterwagen holen, den Körper auf ein waagerechtes Brett binden, den Kopf richtig justieren und schließlich das Fallbeil betätigen. Insgesamt wurde die Enthauptungskonkurrenz dreimal ausgefochten, wobei es zu folgenden Partien kam: Andres Pagel 14:10, Hassemer - Martiny 9:8, Lummer - Ströbele 7:11. Wer wollte, konnte sich hernach neben der Guillotine mit einem Kopf aus dem Auffangkorb in der Hand ablichten lassen, was ungeteilten Zuspruch fand.

Bis tief in die Nacht dauerte der „Bal populaire“ und reihte Unvergeßliches an Unvergeßliches: den Fanfarenaufzug einer französischen Heereseinheit, die zwei Riesenleinwände mit Live-Übertragungen aus Paris, das gemütlich-altmodische Dekors der Gartenlokale, die tausendfach zum Himmel aufsteigenden Luftballons und schließlich das Feuerwerk in den Farben der Trikolore - so ein Tag, der kommt nicht wieder. Der Franzmann versteht eben zu feiern. Und wenn's drauf ankommt, zeigt ihm der Berliner, wie man es noch besser macht.

Volker Gunske

Heute noch einmal auf dem „Platz der Republik“. Einlaß 16 Uhr, Beginn 18 Uhr.