Wovon ist die Rede?

■ Betr.: "Große Verallgemeinerer", taz vom 8.7.89

betr.: „Große Verallgemeinerer“, (Karl Poppers St.Gallener Predigt), taz vom 8.7.89

Wieder hat es mir ein taz-Autor gegeben. Ich bin ein unwissender Leser; muß mich mit Etiketten zufrieden geben, wo ich nicht weiß, was Sache ist. Ich darf mir ein eigenes passendes Vorurteil ausdenken, was sonst, wenn ich lese: „Bibel des konservativen Liberalismus„; greiser „Kämpfer für die Wonnen von Marktwirtschaft und palamentarischerDemokratie„; „Antipode der Frankfurter“ beim „berühmt-berüchtigten 'Positivismusstreit'„; Verteidiger „des Status quo“. Wer sagt mir aber, ob meine Verallgemeinerungen in das gleiche Raster passen wie die des Verfassers? So bleibt mir nur das flaue Gefühl, daß Bibel, konservativer Liberalismus, Marktwirtschaft, parlamentarische Demokratie, Status quo, greises Kämpfer und Frankfurter Antipodentum irgendwie ungut sind. Echt. Und es nagt der Frust der Ungeduld, weil: Ich möchte schon gern wissen, wovon die Rede ist. Ich greife mal zwei Gedanken heraus, die mich beschäftigen.

Der eine ist die (nach Popper laut Widmann) entscheidende Frage: „Wie wird man sie (eine Regierung) wieder los? Und zwar ohne Blutvergießen.“ Wie lebensgefährlich der Umgang der Regierten mit Regierungen ist, die nicht souverän genug sind, auf den Ausbau und die Anwendung ihrer verfügbaren Machtmittel zu verzichten oder die mafiosen Methoden der gesellschaftlich Mächtigen zu unterbinden, springt uns weltweit ins Auge. Nicht zu vergessen das, was uns Deutschen einmal als Ergebnis einer Revolution verkauft wurde: jene Regierung der nationalen Erneuerung, die in der verblüffend kurzen Zeit von nur zwölf Jahren die politische Unbedarftheit und Rückgratlosigkeit eines Volkes bloßgelegt hat, mit verheerenden Folgen für den weiten Umkreis. Da gab es was zu lernen, auch für Sir Karl im Exil. Ob wohl die „Republikaner“ zur Falsifizierung meiner These über die politische Mündigkeit dieses unseres Volkes (heute) taugen?

Der zweite Gedanke ist die Frage: Wie hälst du's mit den Naturwissenschaften? Wer Selbstreflektion der Naturwissenschaften fordert, sollte schon klarmachen, worauf er hinauswill. Denn wenn sie „ganz sicher zu der lebensbedrohenden Gefährdung unserer Umwelt beigetragen haben“, so sind sie zum Nachweis ebenso wie zur Behebung dieser Gefährdung unentbehrlich. Es genügt eben nicht, einen Schrottreaktor einfach einzubuddeln oder ein paar Schiffe voller Dünnsäure mit der Nordsee zu verquirlen, nach dem Motto: Was Du nicht siehst, ist nicht da. Und auch Karl Popper dürfte zweifeln, ob es sinnvoll ist, das Problem der Ackerwildkräuter durch den Einbau von Herbizid -Resistenzgenen in Getreide anzugehen und dann ganz ungeniert den Rest wegzuspritzen. Auch wenn es in ist, NaturwissenschaftlerInnen als die bad guys (und bad dolls) der modernen Welt zu betrachten, kann die Lösung nicht lauten: „Nieder mit den Naturwissenschaften“.

Mag sein, daß Potter es leid ist, das Thema Naturwissenschaften jedesmal von vorn zu diskutieren und deswegen (vielleicht auch aus Altersstarsinn) zum Dreschflegel greift. War denn keiner in der St.Galler Hochschulaula (der Verfasser zu Beispiel), der den Philosophen in seinen eigenen Ansprüchen spiegeln konnte? Wo doch Arno Widmann durchschaute: „Für Popperkenner gab es nichts Neues.“

Hat, wer nach der Verantwortung der NaturwissenschaftlerInnen fragt, sich auch schon mal mit der Verantwortung im vorwissenschaftlichen Bereich menschlicher Technik befaßt? Im Handwerk zum Beispiel, jenem weiten Feld des Genies und der schöpferischen Selbstverwirklichung. Das ist ein Gedanke, der mir im Hagener Freilichtmuseum technischer Denkmäler kam. Ein anregender Ort. Wer entscheidet, ob die Erfindung der Schraube in einer Weinpresse oder einem Folterwerkzeug verwirklicht wird? Wie pervers ist die Freude am Flammenmuster einer Damaszenerklinge? Wer führt die Fachwerkkonstruktion eines Galgens aus? Also: Schauen wir den NaturwissenschaftlerInnen auf die Finger, gerade weil ihr Material und Handwerkszeug schwer zu verstehen sind. Aber seien wir auch wachsam gegenüber den Schmieden und Zimmerleuten. Zumal, wenn Gewinn, Macht oder Drohung sie zu ihrer Arbeit antreiben.

Wolfgang Gerster, Braunfels